Die Konzertreihe Neue Musik Eckernförde war in der
„Langen Nacht der Musik“ performativ poetisch

Von Jörg Meyer

Eckernförde. Der Name klingt nach Musik, doch Francisco de Goyas „Los Caprichos“ waren 1799 ein Zyklus von Radierungen, die den revolutionären Zeitgeist kritisch überzeichneten. Tobias Klich, einer der fünf Komponisten und ehemals Stipendiaten im Eckernförder Künstlerhaus, die bei der „Langen Nacht der Musik“ und im fünften und letzten Teil der diesjährigen Konzertreihe „Neue Musik Eckernförde: Werke – Wirkung – Relevanz“ ihre Stücke vorstellten, montiert in seiner Video-Klang-Performance „Goyas Hände“ grafische Elemente aus dessen Zyklus und übersetzt sie in Musik auf der Gitarre.

Als Stipendiaten des Künstlerhauses Eckernförde waren sie schon mal hier – die Neue-Musik-Komponisten (v.l.) Tobias Kliche, Cheng-Wen Chen, Farzia Fallah und Gerald Eckert. Foto ögyr

Als Stipendiaten waren sie schon mal hier – die Neue-Musik-Komponisten (v.l.) Tobias Klich, Cheng-Wen Chen, Farzia Fallah und Gerald Eckert (Foto: ögyr)

Neue Musik bezieht sich oft auf Außermusikalisches, übersetzt fremde Räume, Zeiten und Bilder in ihren Klangkosmos. Klichs Werk, das Goyas expressiv gezeichnete Hand-Gesten – betend, um Hilfe flehend, sich die Mörder im stummen Schrei vom Leibe ringend – als eine Art Anleitung für die Bewegung der Hände auf den Gitarrensaiten nimmt, ist dabei ebenso beeindruckend wie Gerald Eckerts Video-Musik-Montage „Brandung“. Die empfängt Zuhörer und -schauer schon vor Konzertbeginn im Dunkel der St. Nicolai-Kirche: Kaum Licht, nur (elektronischer) Klang, aber doch in beiden poetisches Brausen der Brandung am hiesigen Strand.

Der aus Taiwan stammende Komponist Cheng-Wen Chen widmet sich in „Chin-Ko-Chi III“ der Liedtradition seiner Heimat. Solche in elektronischen Samples aufscheinend, lässt er die Bassflöte (Beatrix Wagner) die Melodie atmen und „röcheln“, weil ja Musik nur ein Echo sein kann und soll. Wessen? Einer blühenden „Orchidee“ im gleichnamigen Stück für Cello (Gerald Eckert) und Live-Elektronik. Letztere verechot den Klang leiser Flageoletts und ungestümer Ausbrüche des Cellos im Raum, umschwirrt uns Zuhörer damit, die wir im Zentrum des Klangs sitzen.

Oder inmitten eines uns zugeflüsterten Poems des Dichters Sohrab Sepehri, das die iranische Komponistin Farzia Fallah in „Posht-e Hichestan“ ebenso herüberwehen, wie von der lyrischen Flöte dekonstruieren lässt. In den Händen der Neuen Musik ist Poesie nochmal ganz anders klingend, fremd und zugleich um das Vertrauen der Hörer in ihr eigenes Empfinden werbend – sei es bei José Maria Sánchez-Verdùs „Deploratio II“ oder in Eckerts jüngsten Werken „fuori“ und „Interception“. Die Neue Musik ist hier mit Händen (be-) greifbar in ihrer Erforschung von Raum, Zeit, Poesie und Klang – mit Gesten, wie sie einst Goya zeichnete.