Familientreffen der Solo-Spieler in Kiel – Ein subjektiver Rückblick auf „Thespis 10“
Von Christoph Munk
Kiel. Lichter sind erloschen, die fremdsprachigen Stimmen verstummt, die Kostüme verpackt, die Spieler abgereist, zurück in ihrer Welt. Kiels Theaterszene darf sich wieder mit sich selbst beschäftigen. Denn das Internationale Monodramenfestival „Thespis“ ist vorbei, seine 10. Ausgabe, das Jubiläum abgefeiert. Nach ein paar Tagen Abstand klären sich die Eindrücke zu Erinnerungen. Was bleibt von dem, was geschah? Was wird versinken? Was lohnt sich, festzuhalten?
Jolanta Sutowicz, die wunderbare Gründerin und Direktorin, die Seele dieses Theaterfestes, hatte mich wieder in die Wettbewerbs-Jury berufen – eine Ehre und auch eine Belastung. Denn zur Neigung, allein aus purer Neugierde die Aufführungen zu besuchen, kommt dann die Pflicht, immer dabei zu sein, um Vergleiche herzustellen und Urteile in Wertungen umzumünzen. Aber es bereitet auch Lust, in der Auseinandersetzung mit den anderen Juroren, den eigenen Standpunkt zu überprüfen, die Argumente zu schärfen und überzeugende Begründungen zu finden. Die Anderen das waren Jutta Hagemann, ehemalige Disponentin des Kieler Schauspiels, Kurt Egelhof, Regisseur, Schauspieler und Produzent aus Kapstadt, und Pip Utton, Schauspieler, Autor, Regisseur aus England und vertrauter Thespis-Gast.
Acht Augen, vier Köpfe – eine Meinung
Ich verrate nicht zu viel aus den vertraulichen Jury-Beratungen, wenn ich berichte, dass den Erörterungen der möglichen Preisträger in den meisten Fällen intensive, sachliche Einzeldiskussionen vorausgingen, dass wir aber unsere Entscheidungen in großem Einvernehmen fällen konnten. Manchmal waren wir erstaunt, wie schnell und klar unsere Eindrücke übereinstimmten. Wir hatten mit acht Augen gesehen, mit vier Herzen empfunden und mit vier Köpfen nachgedacht. Und doch fanden wir uns rasch auf einem gemeinsamen Weg der Urteilsfindung.
Wen wundert’s: Den Preisentscheidungen der Jury folgen darum auch meine Gedanken an die Höhepunkte dieses 10. Thespis-Festivals. Eine Erfrischung am Sonntagmittag der Auftritt der Japanerin Nozomi Satomi, die allen Ernstes nicht weniger als „A Life in my Bag“ erzählt und dazu kein gesprochenes Wort braucht, weil ihr Körper dank ihrer pantomimischen Fantasie Bände spricht: Wie sie in einer Art „Verkündigung“ einen Papierumschlag erhält, wie sie darin hineinschlüpft, um daraus geboren zu werden, wie sie sich befreit und Individualität gewinnt – das ist von wundersam verspielter Klarheit. Und dann steckt ihr Kopf erneut in einer Tüte. Und wieder erobert sie sich ohne Blickkontakte ihr Terrain und knüpft spielerisch Beziehungen. Schließlich, entlang eines roten Fadens, folgt sie ihrer Lebenslinie, um – alt geworden – ihr Ende zu finden. So spannt Nozomi Satomi von der Geburt bis zum Tod einen weisen, heiteren Bogen, einsichtsvoll und gelassen.
Erlöst aus der Gefangenschaft der Wörter
In allergrößte Spannung versetzt sich und damit auch seine Zuschauer der Iraner Yaser Khaseb, den Jolanta Sutowicz mit seiner Produktion „Mysterious Gift“ endlich und im letzten Moment für ihr Festival gewinnen konnte. Reines Körpertheater auch bei ihm: Wie aus einem hilflosen Bündel am Boden erhebt sich langsam eine menschliche Figur. Kaum hat sie sich den aufrechten Gang erobert, empfängt sie ein Geschenk: Khaseb greift in den geheimnisvollen Sack, der sich von der Decke senkt, und sieht sich plötzlich mit einer Puppe konfrontiert, die in seinem Arm ein eigenes Leben gewinnt. Es beginnt ein Kampf auf Leben und Tod, befremdend, angsterregend, atemberaubend – eindrucksvoll, jenseits aller Sprachbarrieren.
Aus der Gefangenschaft ihres gesprochenen Textes befreite sich auch Elena Dudich aus Weißrussland, als sie mit sparsamen, aber einprägsamen Gesten ihre moderne, postsowjetische Romeo-und-Julia-Geschichte erzählte, Teil 1 von „Secondhand Zeit“, zwei Monologen nach dem Buch von Swetlana Alexijewitsch. Da verdichtete sie die bitteren Erfahrungen einer jungen Frau in sparsame und sorgfältig gewählte und darum vielsagenden Aktionen und Bewegungen. Töne und Gesichter. Hier wurde wirksam demonstriert, wie vielsagend sein Solospieler agieren kann, auch wenn Inhalte nicht den Weg über das gesprochene Wort finden. Dagegen überwanden einige andere Produktionen nur schwer die Barriere der fremd klingenden Sprache, so der Ire Donal O’Kelly mit seinen nur wenig ins Szenische aufgelösten Monologen „Fionnuala“ und „Hairy Jaysus“.
Dazwischen blitzten vereinzelt theatralische Lichter auf: die hochdisziplinierte Präzision von Rebecca Vaughan, mit der sie sich in das charaktervolle Königinnenbild „I, Elizabeth“ zwängte. Oder die Spielfreunde der Algerierin Souad Janati, mit er sie in „Mira“ ein Frauenleben vor dem Hintergrund der bewegten Geschichte ihres Landes schilderte. Oder Mateusz Nowaks Anstrengung in „Von vorne und von hinten“, mit wechselnden Figuren eine Epoche der polnischen Historie nachvollziehbar zu machen.
Erfahrungsaustausch, Netzwerke, Freundschaften
Und nachhaltige Erinnerungen hinterließen auch die Auftritte meiner Jury-Kollegen Pit Utton mit seinen raffiniert hintergründigen Porträts „Playing Maggie“ und „Adolf“ oder der Südafrikaner Kurt Egelhof mit der dynamisch bilderstarken Darstellung seiner Familiengeschichte: „For Generations“. Für eine Auszeichnung kamen sie selbstverständlich nicht in Frage. Aus der Wertung nahm die Jury darüber hinaus zwei Produktionen, weil sie nicht in die Kategorie Solo passten: Auf eine Beurteilung der fabelhaften belgischen Performance-Künstlerin Kristien de Proost mit „On Track“ verzichteten die Juroren schweren Herzens, auf eine Bewertung des Star-Auftritts von Philipp Hochmair mit „Jedermann Reloaded“ eher erleichtert.
„Thespis 10“ – das war nach meiner Wahrnehmung nicht nur eine Reihung solistischer Darbietungen, sondern das Jubiläums-Festival entwickelte sich zwischen den Aufführungen wieder einmal zu einem großen Treffen der kosmopolitischen Monodrama-Familie, die stetig wächst, sich mit den Zeiten verwandelt und doch kollegial zusammen hält. Hier werden Erfahrungen ausgetauscht, Kontakte geknüpft, Freundschaften angebahnt und verzweigte Netzwerke gebildet. Hier wurde unmittelbar nach dem Fest mit Vorfreude das Signal wahrgenommen, das Jolanta Sutowicz an ihre weltweite Gemeinde schickte: „Danke! Und jetzt bereiten wir Nr. 11 vor.“
Die Preisträger bei „Thespis 10“
1. PREIS DER FESTIVALJURY (ex aequo
Nozomi Satomi A LIFE IN MY BAG | Japan
Yaser Khaseb MYSTERIOUS GIFT | Iran
Elena Dudich SECONDHAND TIME | Belarus
BESONDERE ANERKENNUNG
Rebecca Vaughan I, ELIZABETH | Great Britain
Souad Janati MIRA | Algeria
Mateusz Nowak FROM THE FRONT AND FROM BEHIND | Poland
PREIS DER FESTIVALDIREKTOREN
Stephen Ochsner THE MAXIMS OF PETER POCKET | USA/Armenia
PREIS DER FESTIVAL-ORGANISATION
Vladimir Petrovich SECONDHAND TIME | Belarus
Weitere Infos: www.thespis.de
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