Wir können das auch: Das Kieler Schauspiel feiert mit dem Musical
„The Full Monty“ Premierenerfolg
Von Christoph Munk
Kiel. Die anregende Wirkung des kunstvollen Entkleidens ist zurück bis in biblische Zeiten bezeugt, da sich Salome tanzend ihrer sieben Schleier entledigte, also eine Dame vor dem Herrn. Es geht aber auch andersherum. Diese Erkenntnis verdanken wir einem findigen Agenten aus Kalifornien, der junge Männer dazu anhielt, sich vor entzückten Frauen zu entblößen und 1979 die „Chippendales“ gründete. Die tingeln seither als Showtruppe zum Vergnügen des vorwiegend weiblichen Publikums über die Bretter der Welt – höchst gewinnbringend, selbst wenn sie heute nicht mehr das ganz große Aufsehen erregen mögen.

Tanzen, Singen, Spielen (von links): Imanuel Humm, Alvin Le-Bass, Marko Gebbert, Zacharias Preen, Oliver E. Schönfeld, Rudi Hindenburg. (Foto: Olaf Struck)
Davon profitierte ein paar Jahre später ein halbes Dutzend Stahlarbeiter im englischen Sheffield, das verzweifelt, aber clever den Verlust seiner Arbeitsplätze damit kompensierte, in öffentlicher Tanzdarbietung die Klamotten abzulegen. Diese Geschichte erzählte 1997 die sozialkritische Film- komödie „The Full Monty – ganz oder gar nicht“. Und das so überzeugend und erfolgreich, dass die US-Unterhaltungsindustrie den Schauplatz nach Buffalo verlegte und das Produkt in ein Musical gleichen Namens ummünzte. In vielerlei Spielarten und unter unterschiedlichen Titeln ist auf diesem Weg der Männerstrip ins Theater zurückgekehrt. Selbst Niederdeutsche Bühnen füllten damit kreischend ihre Säle, auch in Schleswig-Holstein. Und in Hamburg hat beispielsweise Ohnsorg „Barfoot bet an’n Hals“ gegenwärtig wieder im Programm.
Wer erwartet schon maximalen Glamour?
Das Kieler Schauspiel befriedigt also einen dringenden Nachholbedarf, wenn es das Stück in der Original-Musical-Fassung von Terrence McNally mit der Musik von David Yazbek endlich ins Repertoire seines öffentlich hochsubventionierten Theaterbetriebs nimmt. Den arbeitslosen Stahlarbeitern von Sheffield damals im Film sah man ohne Zögern nach, wenn ihre Kunst des Entkleidens nur begrenzten Reiz auslöste. Von Körpern, die von Arbeit geschunden, vom Bier geformt und vom Alter gezeichnet waren, konnte kein maximaler Glamour erwartet werden. Die Kerle nahmen einfach ihre Herzen in die Hand, wenn sie die Hosen fallen ließen. Dieser Mut verlieh ihren Auftritten den zusätzlichen, den wahren Kick. Wir können das auch – das war ihre imponierende Devise.

Schraube locker? Szene mit (von links) Marko Gebbert, Zacharias Preen, Oliver E. Schönfeld. (Foto: Olaf Struck)
Nach diesem Prinzip funktioniert auch die Kieler Aufführung. Sie ist ein sich mehr als drei Stunden hinziehender Nachweis für dieses „Wir können das auch“. Zweifellos. Der in diesem Genre bewährte Regisseur Ingo Putz kann das: Er inszeniert geduldig am langen Faden der Handlung entlang, lässt sie stilgerecht zwischen effektvoll lärmender Tanzshow und rührenden Dialogszenen pendeln und nur gelegentlich die Spannung absacken. Auch sein Regieteam kann das: Zaida Ballesteros Pajero unterstützt das Bewegungsrepertoire mit zündenden Choreografien. Bühnenbildnerin Margarethe Mast gestaltet einen fabelhaft variablen Spielplatz, damit sich das Ensemble trefflich austoben kann. Katharina Krommingas würfelt ihre Kostüme zu einem lustvoll bunten Vielerlei zusammen. Und Ture Rückwardt als musikalischer Boss liefert mit seiner versierten „Hot-Metal-Band“ einen krachenden, pulsierenden Sound, nach vorn drängend, gelegentlich zu laut über dem Gesang, auch wenn er mit seinen Musikern von der Szene verbannt ist.
Schwung ohne zu schwitzen
Unter solch kundiger Betreuung werfen sich die Akteure mächtig ins Zeug. Singend, tanzend, spielend, tapfer und der Selbstaufopferung nahe beweisen sie: Wir können das auch. Die Herren Gebbert, Schönfeld, Preen, Hindenburg, Humm und Alvin Le-Bass (als Gast) geben das sich bis zur (fast) vollständigen Entblößung hingebende Stripper-Sextett; die Kollegen Borkert und Klockow wandlungsfähig kleine Rollen. Als Partnerinnen und Gegenspielerinnen mischen die Damen Böhm, Neuhaus, Ruprecht, Hirschfeld und Dorn nebst etlichen Gästen munter mit. Und als junger, talentierter Nachwuchs alternieren Robin Dorn, Emiel Kästner und Willem Klemmer in der Rolle des Sohnes Nathan.
Die ganze Anstrengung hat Schwung ohne zu schwitzen, schlängelt sich einigermaßen flüssig durch den zuweilen zähen Strom der Story mit allen ihren Windungen und Wandlungen und triumphiert zuletzt mit einem selbstbewussten „Ja, wir können das auch!“ Mit seinem finalen Jubel bestätigt das Publikum diese Behauptung. Und die repertoirekritische Frage, ob wir vom Kieler Schauspiel diese Art zufriedenstellender Unterhaltung überhaupt brauchen, beantworten nachdenkliche Zuschauer mit einem listigen „ja, wenn’s den Leuten doch gefällt“. Es gefällt ihnen, sozusagen im blinden Vertrauen auf die Katze im Sack. Denn die 15 Vorstellungen bis Mai 2017 waren schon vor der Premiere bis auf vereinzelte Restkarten ausverkauft. Ja, wenn’s denn so ist.
Termine und Info: www.theater-kiel.de
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