Kurzweilig und leichtgewichtig: Premiere von „Evita“ im Kieler Opernhaus
Von Christoph Munk
Kiel. Rasch wie ein Komet stieg einst ein junges Mädchen aus der Provinz an den Himmel der argentinischen Großstadt, leuchtete an der Seite des Präsidenten im Zentrum der Macht, flackerte als Hoffnungsschimmer der Arbeiter und Armen, um schon nach wenigen Jahren im Licht in einem frühen Tod zu verglühen. Zurück blieb die Legende von Argentiniens „Nationalheiliger“ Evita, der Komponist Andrew Lloyd Webber und Texter Tim Rice mit ihrer gleichnamigen Rock-Oper ein musikalisches Denkmal setzten. Deren Tempo und Temperament macht die Regisseurin und Choreografin Ricarda Regina Ludigkeit jetzt in ihrer Inszenierung für das Kieler Musiktheater als wirkungsvollen Rausch erlebbar.

Auf der Höhe des Erfolgs, weit über dem Volk: Evita (Heike Wittlieb) und Perón (Rudi Reschke). (Foto: Olaf Struck)
Pompös noch wird die Beerdigung der populären Präsidentengattin zelebriert, bevor die Inszenierung in flotter Folge und in markanten Bildern die Stationen im Leben der Eva Duarte durchläuft: In ihrer Heimatstadt die erste Affäre der 15-Jährigen mit dem Tangosänger Agustin Magaldi (herrlich schmierig: Michael Müller), der sie nach Buenos Aires bringt; die wie ein herzloses Ritual absolvierte Reihe der genossenen Liebhaber, erste Erfolge als Radiosprecherin, das geschickt kalkulierte Rendezvous mit General Juan Domingo Perón, dem sie den Weg an die Spitze der Staatsmacht bereitet, der Glanz des Wahlsiegs, die Verdienste um das Volk, die Ablehnung durch Adel und Militär, die historisch als „Regenbogentour“ bekannt gewordene Goodwill-Reise durch Europa, die schwindende Gesundheit, schließlich der Tod mit 33 Jahren.
Auf ruheloser Jagd nach Ruhm
Unaufhaltsam, angetrieben von dem Willen, eine ruhelose Jagd nach Ruhm mit Rasanz zu erzählen, wird der Strang der Handlung durchgezogen. Diesen Modus der schnellen Szenenwechsel unterstützt der kongenial einfach gestaltete Bühnenraum von Norbert Ziermann, dessen leicht verschiebbare Wände im atmosphärisch präzis abgestimmten Licht (Martin Witzel) variable Schauplätze charakterisieren. Mal öffnen sie sich für breite Tableaus, häufig vor den unaufdringlichen Videos von Frank Scheewe. Dann konzentrieren sie das Geschehen wie unter einer Lupe auf intime Momente. Und punktgenau orientieren sich dazu die Kostüme von Gabriele Heimann an Land und Leuten.
Geschmeidig und stilistisch detailgenau abgestimmt prägt auch das Philharmonische Orchester, ergänzt durch etliche instrumentale Spezialisten und unter der souveränen Leitung des Kapellmeisters Whitney Reader, die Geschwindigkeit der Aufführung mit energischem musikalischem Drive. Ihm folgen auch die Chöre (Einstudierung: Lam Tran Dinh) mühelos und mit dem Schwung, den sie auch in den Tänzen auf die Bretter bringen – immer wieder Höhepunkte im kurzweiligen Bilderbogen. Denn spätestens seit Ricarda Ludigkeits Regiearbeit an „My Fair Lady“ weiß man in Kiel, dass die Choreografin auf der Bühne alle Beine in Rhythmus und Rage bringt.
Nicht die Titelfigur, sondern ihr Kontrahent Che wird auch in dieser Inszenierung zum entscheidenden Handlungsträger. Siegmar Tonk gibt der (historisch unkorrekt) dem Revolutionär und Guerillaführer Che Guevara nachempfundenen Gestalt so viel Profil an Ironie und lässigem Zweifel, dass aus ihr mehr wird als ein dramaturgisch raffiniert positionierter Gegenspieler. Tonks mit kesser Mimik eingestreuten Kommentare und seine augenzwinkernd formulierte bittere Kritik werfen nicht nur Schatten auf den zwielichtigen Glanz der Eva Perón, sie bewahren die gesamte Aufführung vor den Gefahren von Schwulst und weihevollem Weh.
Heike Wittlieb mit Gestaltungskraft und Reife
Denn die Besetzung der Protagonistin mit Heike Wittlieb bringt gewichtige Bedeutung in die Story. Hier liefert keine junge Nachwuchskraft ihre erste große Talentprobe. Hier beweist eine mit darstellerischer Versiertheit und stimmlicher Präsenz ausgestattete Kammersängerin ihre Gestaltungskraft und Reife. Ihre gekonnt gesetzten Mittel tendieren dahin, die legendäre Frauenfigur vollkommen glaubhaft zu machen. An ihrer Seite verkörpert Rudi Reschke einen um aufrichtige Anerkennung werbenden Peron, ohne die dunklen Aspekte des künftigen Diktators zu zeigen. Seine abgelegte Geliebte gibt Leoni Kristin Oeffinger als hübsches Leichtgewicht.
Ricarda Regina Ludigkeits szenischem Einfallsreichtum, ihren raumfüllenden Choreografien und der funkelnden musikalischen Präzision des Dirigenten Whitney Reader ist eine „Evita“-Aufführung zu verdanken, die rund und robust wirkt, die Pathos und Sentimentalitäten vermeidet und nach eher amüsanten als ergreifenden gut zweieinhalb Unterhaltungsstunden ihren gehörigen Premierenjubel im Kieler Opernhaus verdient hat.
Info und Termine: www.theater-kiel.de
13. Januar 2017 um 21:13
„Hier liefert keine junge Nachwuchskraft ihre erste große Talentprobe. Hier beweist eine mit darstellerischer Versiertheit und stimmlicher Präsenz ausgestattete Kammersängerin ihre Gestaltungskraft und Reife. “
Ernsthaft? Ich halte diese Frau für komplett fehlbesetzt.
Evita war alles andere als reif im realen Leben, auch noch kurz vor ihrem Tod mit gerade einmal 33. Sie war immer ein junges Mädchen, die einfach gerne erwachen sein wollte, aber immer Spielchen spielte.
Es bedarf hier keiner jungen Nachwuchskraft, aber wenigstens einer Darstellerin, die die Evita in ihrer Naivität und ihrer Jugendlichkeit wesentlich überzeugend darstellen kann, denn das kann die Frau nicht.
Sie soll bei Rollen in ihrer Altersklasse bleiben.