Im Kieler Schauspiel wird Sartres Drama „Die schmutzigen Hände“
zum effektvollen Polit-Krimi

Kiel. Kriegsgeschehen, Frontverläufe, Krisenmanagement. Dazwischen eine proletarische Partei, die in ihren Strategien selbst zerstritten ist. Und dort – ebenfalls zwischen den Linien – Hugo, ein junger Mann bürgerlicher Herkunft, der seine geistige Orientierung, seine Identität und damit seine Daseinsberechtigung sucht. Jean-Paul Sartre erfand für sein 1948 entstandenes Drama „Die schmutzigen Händen“ diese Konstellation im fiktiven Staat Illyrien, gefangen in den Weltkriegs-Schlachten zwischen deutschen und sowjetischen Truppen. Darius Yazdkhasti dagegen löst in seiner Neuinszenierung für das Kieler Schauspiel das Debattenstück aus seinem historischen Zusammenhang, um einen spannenden Politkrimi über die Bühne zu bringen.

Allein mit sich, allein im Nebel, doppelt im Bild: Rudi Hindenburg als Hugo. (Foto: Olaf Struck)

Die Radioansage in der Exposition, Katharina Krommingas Kostüme, ein paar Ausstattungsdetails – mehr an geschichtlichen Anspielungen bleibt nicht übrig. Denn die von Anna Bergemann gebaute Bühne verzichtet auf Zeitkolorit und genügt stattdessen den Anforderungen an einen schnell wandelbaren, vielfach nutzbaren Raum, an ein modernes Setting also: glatte, weiße Wandflächen mit unauffällig eingelassenen Türen, verschiebbar und perfekt als Projektionsflächen für Konrad Kästners Videos und die Bilder der Live-Kamera (Philipp Lamp) geeignet. Damit hantiert Yazdkhasti äußerst geschickt, schafft elegante Szenenübergänge, Hintergrundbilder, Verdoppelungen und Detailaufnahmen. Und hat viel Platz für schwallenden Bühnennebel. So lässt sich die lange Handlung mit ihren langen Dialogen einfach unterhaltsamer, aufregender erzählen. Von dem einfallsreichen und konzeptionsfreudigen Regisseur Yazdkhasti durfte man das erwarten und wurde nicht enttäuscht.

Realos contra Fundis

Der Rest ist Routine und Konvention, denn das Gerüst der Geschichte lässt die Regie unangetastet. Es bleibt bei der langen Rückblende zwischen dem ersten und letzten Bild: Hugo erzählt in einem ausführlichen szenischen Bericht, wie ihm der als Bewährungsprobe gedachte Auftrag, den Parteistrategen Hoederer zu töten, immer schwerer fällt, er ihn aber schließlich doch erfüllt – allerdings als Eifersuchtstat, nicht aus politischer Überzeugung. Entschieden wird das vor allem in den ausführlichen verbalen Attacken zwischen Hugo und Hoederer. In milderer Version lassen sich darin heutige Auseinandersetzungen etwa bei den Grünen zwischen Realos und Fundis erkennenn: hier Kompromissbereitschaft zur Regierungsbeteiligung mit der Absicht des Machterhalts, dort Verweigerungshaltung mit dem Ziel eines kompletten Sieges.

Debatten  im effektvollen Licht: Szene mit (v.li.) Marko Gebbert, Imanuel Humm und Oliver E. Schönfeld. (Foto: Olaf Struck)

Versiert steuert Yazdkhasti diese Wortgefechte im gewöhnlichen Laut-Leise-Modus: Wer recht hat, wer mehr Bedeutung beansprucht, hebt den Ton. Und zusätzlich sind die Gewichte erwartungsgemäß verteilt. Denn Marko Gebbert behauptet seinen Hoederer als im Leben gereiften Mann mit schwerer Überzeugungskraft und unerschütterlicher Statur. Dagegen hält sich Rudi Hindenburgs Hugo trotz eines hohen Einsatzes an Energie und jugendlich animierten Schwungs nur achtbar – eben ganz im Sinne des Autors verkörpert er einen Jungen in seiner Sinnkrise, einen, der sich seiner Existenz noch lange nicht gewiss ist.

Zwei Frauen, zwei Komiker

Gestaltungsmuster zeigen auch die Frauenfiguren: Isabel Baumert gibt als Olga eine umsichtig fürsorgliche und warmherzige Parteimutter; Magdalena Neuhaus erfüllt als kokette Jessica das übliche Weibchenschema und sorgt für erforderliche Störfeuer. Zacharias Preen und Werner Klockow machen als spaßig-ruppige Leibwächter das Komikerpaar; Imanuel Humm und Oliver E. Schönfeld zeichnen mit scharfen Strichen Parteibonzen.

Am Ende, wenn sich der Zirkel der Rückblende geschlossen hat, räumt Yazdkhasti alle Hoffnungen und Zukunftschancen radikal von der Bühne. Der Boss tritt auf und schafft Klarheit mit der Pistole. Ein paar Schüsse, Ströme von Blut, gestürzte Körper. Ein Finale mit Schrecken und Sentiment zu Pianoklängen. Krimi eben. Danach: angemessen anschwellender Applaus.

Infos und Termine: www.theater-kiel.de