Zu sprachlichen Dumm- und Gemeinheiten

Von Hannes Hansen

Hamburg Elbphilharmonie
(Foto: Madl)

Kiel. Endlich, nach vielen, vielen Jahren ist die Elbphilharmonie fertig und hat ihre Premiere in glanzvollem Rahmen gefeiert. Dass die ursprünglichen Kosten von geschätzten 186 Millionen Euro in den fast zehn Jahren, die seit der Grundsteinlegung im April 2007 bis zur feierlichen Eröffnung vor zwei Wochen verstrichen sind, auf gut und gern 866 Millionen angewachsen sind, sich also mehr als vervierfacht haben – Schwamm drüber, wir haben’s ja. Zwar weiß man nicht so genau, wozu Hamburg das schon vor Baubeginn als neues Wahrzeichen der Hansestadt gefeierte Glitzerding eigentlich braucht. Schließlich steht in Hamburg noch die über ein Jahrhundert alte Laeiszhalle mit mehr als zweitausend Plätzen und einer allseits gelobten Akustik und dient wie eh und je dem Musikleben der Stadt, aber die Anmutung des neobarocken Trumms ist dem nach Neuem und Aufbruch in die Zukunft gierenden Geschmack dann doch allzu verstaubt und gestrig.

(Foto: Avda)

Dass freilich die von niemand Geringerem als dem Stardirigenten Kent Nagano gelobte Akustik des großen Konzertsaals manchen Kritikern als kalt und allzu durchsichtig erscheint, dass sie keinen Fehler, kein Räuspern im Publikum, kein Schniefen eines erkälteten Musikers verzeiht, betrachtet man in Hamburg als unangemessene Mäkelei, und wir wollen bei dem Streit dann auch nicht weiter stören.

Und es ist ja wahr, die Elbphilharmonie, das Meisterstück des Schweizer Büros Herzog und de Meuron, das den einen an ein gespanntes Segel, den anderen an einen Eisberg, Dritte an Wellen oder einen Kristall oder sonst etwas denken lässt, hat aus einem banalen Backsteinspeicher eine triumphale Geste aus Glas und Stein werden lassen; eine Geste, die den Anspruch Hamburgs, zu den großen Kulturhauptstädten der Welt zu gehören, mit herrischer Eleganz verkündet.

Kaispeicher A
(Foto: Unbekannt)

Schon die strukturelle und bauliche Verwandtschaft mit Hans Scharouns Berliner Philharmonie aus dem Jahre 1963 (Bauzeit 3 1/2 Jahre) zeugt von dem Wunsch, das Vorbild zu übertreffen. Ob allerdings das Hausorchester, das „NDR Elbphilharmonie Orchester“, diesem Anspruch gerecht wird, muss sich erst noch zeigen.

Berlin, Philharmonie von Hans Scharoun
(Foto: Taxiarchos)

Sprachlich indes ist dieser Anspruch schon jetzt gescheitert. Wenn Jacques Herzog bei der Eröffnungsfeier das Werk seines Büros als „petrifizierte Seele der Stadt“ bezeichnete, wollen wir das noch durchgehen lassen. Das ist Architektenlyrik, die reden so. Dass aber alle Welt, vom Intendanten Christoph Lieben-Seutter über Politiker aller Couleur und allzeit dem sprachlichen Zeitgeist verpflichteten Journalisten bis hin zum so genannten „Volk“ von der „Elphi“ schwärmt, ist ein nicht nur linguistisches Armutszeugnis sondergleichen. Elphi, Herr im Himmel, E L P H I! Was sagt die infantile Verkürzung der Bezeichnung „Elbphilharmonie“ für das neue Wahrzeichen Hamburgs auf ein niedliches „Elphi“ eigentlich über den Geisteszustand derer aus, die sie benutzen? Solch kindisches Geschwätz lässt das „schönste Schiff, das von hier aus in See sticht“ (Lieben-Seutters  originales Metaphern-Geschwurbel) gleich beim Stapellauf auf Grund laufen. Aber wir haben’s halt gerne niedlich.

Da wir gerade bei Politiker- und Journalistenmetaphorik sind, noch das: Vor Jahren musste man ständig „Ross und Reiter“ nennen, wenn man klare Aussagen einforderte. Die Redewendung ist mausetot, heute brauchen wir ein neues „Narrativ“, wenn wir unseren Verlangen nach vernünftiger Europa-, Flüchtlings-, Sozial-, Außen- oder sonstiger Politik verkünden. Ob die Damen und Herren, die da neudeutsch daherschwätzen, wissen, dass in der Soziologie ein Narrativ eine sinnstiftende Erzählung, gleichsam einen in die Gegenwart übersetzten Mythos bezeichnet?

Jean-François Lyotard
(Foto: Bracha L. Ettinger)

Dass schon vor fast vier Jahrzehnten der französische Philosoph Jean-François Lyotard von einem „Ende der großen Erzählungen (Récits, Narrative)“ sprach und das Projekt Aufklärung oder die großen philosophischen Systeme des deutschen Idealismus für gescheitert erklärte, schert die Dummschwätzer wenig. Vermutlich wissen sie auch nichts davon. Aber auf Lyotards „Sprachspiele“, „kleine Erzählungen“, ad-hoc-Verständigungen für das Naheliegende wollen sie sich auch nicht einlassen, nein, sie wollen das große Ganze, die „große Erzählung“.

Was sprachlichen und vermutlich auch gedanklichen Unverstand angeht, hätte ich da noch ein Beispiel aus letzter Zeit. Die Bildzeitung führt ein Interview mit Donald Trump und lässt ihn sagen, er halte die Nato für „überflüssig“. So schlimm wie dieser aufgeblasene Präsidentenproll auch sein mag, das hat er nicht gesagt, und die Bildzeitung und ihre Nacchbeter tun ihm Unrecht. Was er gesagt hat, ist, dass die Nato seiner Ansicht nach „obsolete“ sei. Dass die Bildzeitung das flugs und zumindest teilweise falsch mit „überflüssig“ statt mit „antiquiert“, „veraltet“, „erneuerungsbedürftig“ übersetzt, wie es weitere Ausführungen Trumps zur Rolle der Nato nahe legen würden, ist entweder dumm, weil man auf dem falschen Bein Hurra schreit, oder erfüllt den Tatbestand der üblen Nachrede. Und dass eine ganze Politikerzunft und eine Reihe deutscher Journalisten – nicht alle, Gott sei Dank – ihrem Lemmingtrieb folgen und den Unsinn der Bildzeitung nachquatschen, ist ein Skandal. Seriös geht anders. Lost in Translation, fürwahr. Ein Blick ins Lexikon hätte Abhilfe schaffen können.