Christian Lugerth inszeniert Heinrich Bölls Roman „Ansichten eines Clowns“ bei den Kieler Komödianten
Von Christoph Munk
Kiel. Als er sich in einem Hamburger Antiquariat eine Ausgabe von „Ansichten eines Clowns“ besorgte, fand er auf dem hinteren Umschlag ein Etikett der Taschenbuchhandlung H. W. Plön in der Kieler Wilhelminenstraße. Da war die Sache klar: „Man konnte darin ja locker einen Wink des Schicksals erkennen“, sagt Christian Lugerth. Und so sei es ihm leicht gefallen, den Auftrag der Kieler „Komödianten“ anzunehmen, Bölls Roman in einer Bühnenfassung zu inszenieren – in der gleichen Straße, nur ein paar hundert Meter weiter. Jetzt rückt die Premiere der in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung entstandenen Produktion heran: 9. Februar.
„Ansichten eines Clowns“ erschien 1963 und erregte sofort enormes politisches Aufsehen, seiner kritischen Aufarbeitung der Nazi-Zeit und ihrer Einflüsse auf die Gesellschaft der Bundesrepublik wegen und wegen vermeintlicher Angriffe gegen die Katholische Kirche. Doch welche Bedeutung hat heute das Werk eines Autors, der 1972 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde und dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr gedacht wird? „Böll war zunächst natürlich Schullektüre“, erzählt Lugerth. Und wer wie der Regisseur und Schauspieler als Student lange in der Kölner Südstadt gewohnt hat, für den war der Kölner Schriftsteller eine stets präsente Figur, „als Vorbild, Ratgeber und Mahner“. Jeder der den „Deutschen Herbst“ bewusst miterlebt hat, politisch „eher linksaußen“ orientiert war und revoltierend die Welt verbessern wollte, wird sich an Böll als moralische Instanz erinnern.
Doch heute, gut 50 Jahre später geht es darum, aus einem einst aktuellen, gesellschaftskritischen Roman einen wirksamen Theatermonolog zu machen. Denn die Hauptfigur, der gescheiterte Clown Hans Schnier – gespielt von Ivan Dentler –, steht allein auf der Bühne, trägt als Solist die Handlung und schlüpft in vielerlei Gestalten. „Wir haben beide, Ivan und ich, unabhängig voneinander eine gekürzte Version erarbeitet“, erklärt Lugerth. „Jeder hat deutlich gemacht, welche Teile in der Geschichte für ihn wichtig sind.“ Denn dem Regisseur wie dem Schauspieler war klar, dass nicht alle Erzählstränge verfolgt werden können. Dann wurde neu gemischt und daraus entstand eine Fassung, die vom Sohn des Verfassers, von René Böll, abgesegnet wurde.

Arbeiteten gemeinsam an einer Theaterfassung des Böll-Romans: Ivan Dentler (links) und Christian Lugerth. (Foto: Udo Carstens)
„Für mich als Regisseur war die Beschäftigung mit dem Stoff eine Reise zurück in die eigene politische Sozialisation“, sagt Christian Lugerth. Er nimmt die Gestalt des Hans Schnier als Stellvertreter für die eigene Erinnerung: Da stellt sich einer als Clown, als Künstler und Narr also, gegen das Erbe der Vergangenheit, lehnt sich gegen die Eltern auf, lebt sechs Jahre in einer wilden Ehe mit Marie und muss das Scheitern seiner Liebe hinnehmen, weil er sich weigert, mit ihr, der Tochter einer streng katholischen Familie, zum Traualtar zu gehen. Am Ende bleibt ihm nur eine bittere Bilanz. Die zieht er in einer großen Rückblende auf sein Leben, mit seiner Gitarre auf der Treppe des Bonner Bahnhofs sitzend. Da halten die Leute ihn für einen Bettler.
Eine Story von damals, längst nicht mehr aktuell? Christian Lugerth vertreibt diese Zweifel. „Auch für die Jüngeren gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte“, berichtet der 60-Jährige aus der Probenarbeit mit Ivan Dentler. Der, nicht viel älter als 30, kennt die Zeit, von der der Roman berichtet, nicht aus eigener Anschauung. Doch es gibt auch heute gültige Erfahrungen: „Eine Liebesgeschichte unter dem Diktat des Katholizismus“, nennt der Regisseur als Beispiel, „oder die angespannte Beziehung zu den Eltern. Und nicht zuletzt die Existenz des Künstlers in einer auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichteten Leistungsgesellschaft.“
Der Schauspieler Ivan Dentler mag auf der Bühne in viele Rollen schlüpfen, dominierend bleibt die Figur des Clowns, dessen Profession Heinrich Böll nicht zufällig in den Mittelpunkt seines Romans gerückt hat. „Ich habe als Kind im Zirkus immer den dummen August geliebt“, gibt Lugerth zu. „Und der ist immer auf die Schnauze geflogen. Aber auch immer wieder aufgestanden.“ So gesehen, findet der Regisseur, „schlägt die Geschichte von Hans Schnier ins Heute“.
Info und Termine: www.kielertheater.de
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