Nur ein Missverständnis? Uraufführung von Jens Raschkes „Schwarze Schocker“ bei DeichArt

Von Christoph Munk

Kiel. Nein, das glaub ich jetzt nicht! Was in der Uraufführung von Jens Raschkes neuem Stück „Schwarze Schocker“ geschehen ist, macht mich im Foyer des Werftpark-Theaters erstmal ratlos. Und die Kollegin von der Tagespresse zuckt auch nur mit den Schultern. Kann ich diese grob zusammen gehauene Story mit ihrer an den Haaren herbeigezogenen Kausalität wirklich als gut gemeint hinnehmen? Kann ich das rohe, holzpuppenhafte Spiel der drei DeichArt-Akteure seriös als darstellerische Leistung beurteilen?

Kluger Kopf – beste Absichten?

Kann ich nicht. Denn das hieße zu vergessen, dass ich Jens Raschke als behutsamen Autor vor allem für Kinder- und Jugendtheater kennen gelernt habe. Dass ich ihn als erfahrenen Dramaturgen und gescheiten Journalisten schätze. Und das hieße zu vernachlässigen, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass einem so klugen Kopf nicht mehr entspringen könnte als eindimensionale Typen und restlos überzogene szenische Konfrontationen. Und das auch noch mit den besten Absichten?

Mama (Tom Keller) ist entsetzt, weil Hauke (Eirik Behrendt) eine Jimi Hendrix-Platte ins Haus bringt. (Foto: Olaf Struck)

Solche Voraussetzungen vergessen oder vernachlässigen? Das krieg’ ich nicht hin. Und so bleiben ein paar Fragen: Zum Beispiel die, wen wohl die im Prolog als Studententheater getarnte Kieler Publikumsbeschimpfung in Peter-Handke-Manier provozieren sollte. Oder welchen Erkenntniswert die klangliche Ähnlichkeit im Namen der Hauptfigur, Hauke Petri, mit dem der heutigen AfD-Chefin liefern mag. Und welchen Sinn es macht, dessen Kleinfamilie völlig spießig und verblendet zu deformieren: Der Vater ein Kriegsheld, Neo-Nazi und vermutlich Holocaust-Leugner; die Mutter eine verängstigte Fremden-Hasserin und vor dem „Schwarzen Schocker“ rasant in eine Psychose abdriftend. Und warum sind die Gegenfiguren ähnlich krass gezeichnet? Sollten Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen nicht rein zufällig, sondern von vornherein ausgeschlossen sein?

Gewiss, die konstruierte Geschichte ist gerade runde 50 Jahre alt. Damals fielen im Kieler Frühjahr 1967 passend paar scheinbar wichtige Ereignisse zusammen: der erste Einzug der NPD in den Landtag und der Auftritt des Rock-Gitarristen Jimi Hendrix im Gaardener Starpalast, spektakulär angekündigt als „Der schwarze Schocker“. Ein paar Hippie-Eltern gab es auch schon, Freddy Quinn sang das dumpfe Anti-Gammler-Lied „Wir“ und Udo Jürgens trällerte seinen harmlosen Aufmunterungs-Schlager „Und immer wieder geht die Sonne auf“. War das alles wirklich so aufregend oder gar erschütternd? Eher nicht: Die Nazis verschwanden schnell in die Bedeutungslosigkeit und Jimi Hendrix war damals noch lange kein furchterregender Weltstar, sondern mit seiner Band The Experience als Vorgruppe auf seiner ersten europäischen Club(!)-Tour – vor ein paar Tagen Offenbach, morgen Herford. Aber warum musste das alles so zugespitzt in Raschkes Muster-Drama-Kollektion 1967? Und warum blendet der Autor völlig aus, dass im Frühsommer des selben Jahres Kieler Schüler und Studenten massenhaft wegen Erhöhungen der Straßenbahn-Tarife auf den Schienen saßen und in der Uni die ersten „Sit ins“ etablierten? Prägte das – Aufstand gegen die Autoritäten, zunehmende Politisierung der Jugend – nicht nachhaltiger den Geist des Jahres und der folgenden Zeit?

Zu Knallchargen verdonnert

Warum lässt Jens Raschke keine Differenzierungen zu? Warum vermeidet er jedes sowohl als auch? Warum reduziert er den Einfallsreichtum seiner versierten Bühnenbildnerin Eveline Havertz auf Rückprojektionen und ärmliches Mobiliar? Warum verdonnert er seine Schauspieler Eirik Behrendt, Matisek Brockhues und Tom Keller zu knalligen Chargen? Warum begnügt er sich mit diesem einen simplen Schema? Papa reaktionär, Mama gaga und Idol Jimi verweigert in einer Backstage-Szene ausreichende Erklärungen. Wird aus Hauke Petri darum nach 30 Jahren wiederum ein Neo-Nazi? Ist das die Botschaft an die neue Generation, wenn sie das „Junge Theater im Werftpark“ besucht?

„Eine von Tatsachen inspirierte Tragikomödie“, kündigte das Theater Kiel an. Nein, ich glaub’ das immer noch nicht! Oder ist das alles ein Missverständnis? Etwa meinerseits?

Info und Termine: www.theater-kiel.de