Eine Bühnenversion von Heinrich Bölls „Ansichten eines Clowns“ bei den Komödianten

Von Hannes Hansen

Ivan Dentler in „Ansichten eines Clowns“

Kiel. Er ist ein Getriebener und Verzweifelter, dieser traurige Clown und Fabrikantensohn Hans Schnier, der da halbbetrunken auf die Bühne der Komödianten torkelt, einen Zug aus der stets griffbereiten Flasche nimmt, sich auf die Stufen des Bonner Hauptbahnhofs fallen lässt und seiner Trauer und Wut über die verlorene große Liebe Marie hingibt. Immer wieder, wenn ihn die Erinnerungen zu übermannen drohen, jagt er hoch und tigert ruhelos hin und her. Gefangen ist er im Käfig seiner Erinnerungen und wie Rilkes Panther, seinem tierischen Seelenverwandten, ist ihm, „als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt“.

Hans Schniers ganzer unbändiger Zorn gilt der katholischen Kirche, die ihm, dem Atheisten und – schlimmer noch – ehemaligen Protestanten die Geliebte weggenommen hat, als sie sie in das enge Korsett ihrer Glaubensvorstellungen presste, denen Marie nicht zu entkommen wagt. Seine Wut gilt aber auch den reichen, lieblosen Fabrikanteneltern, die seine Schwester „für Volk und Führer“ in den Tod trieben, und letztlich gilt sie auch den restaurativen Tendenzen der jungen Bundesrepublik, von denen die unbarmherzigen Moralvorstellungen der katholischen Kirche nur ein Teil sind.

Für Hans Schnier freilich der bedeutendste Teil. An den kirchlichen Repräsentanten arbeitet er sich ab, an scheinheiligen Prälaten, an hohen Würdenträgern, die den Sprung vom mörderisch verbohrten Hitlerjungen zum Klopfer frommer Sprüche mühelos und ohne Blessuren geschafft haben.

Man kann Stück und Christian Lugerths Inszenierung vorwerfen, sie dresche leeres Stroh, weil die Kämpfe der sechziger Jahre, speziell in ihrer religiösen Variante, längst überholte Vergangenheit seien. Doch obwohl die Bühnenfassung von Heinrich Bölls Roman die eminent politischen Elemente eher ausblendet, blitzt hinter der scheinbar so ganz privaten Tragödie Hans Schniers in freilich veränderter Form immer wieder eine Wirklichkeit auf, die auch in unserem ach so schönen nach-68er-Deutschland von Intoleranz, Engstirnigkeit und Rassismus geprägt ist. So gesehen lassen sich etwa in Frauke Petry und Björn Höcke ebenso Wiedergeburten von Bölls scheinheiligem Prälaten und der unbarmherzigen Nazimutter wie von Salafisten vom Schlage eines Pierre Vogel erkennen.

Auf Bruno Giurinis mit einem wuchtigen Stufenpodest, ansonsten aber ganz sparsam eingerichteten Bühnen ist Ivan Dentler der traurige Clown Hans Schnier. Eine einzige Requisite, eine Clownspuppe, braucht er als Gegenüber, die er in einer besonders heftigen Auseinandersetzung schüttelt und würgt. Sonst aber misst er ruhelos die kleine Welt der Bühne aus, die zur Metapher seiner Gefangenschaft wird. Sehenswert, wie er blitzschnell vom Jammerlappen zum Wüterich mutiert, wie in stetem Wechsel sich Verzweiflung und Zorn, Hohn und Trauer auf seinem Gesicht und in seiner Körperhaltung abzeichnen. Eben noch der aufrichtige Kämpfer gegen Heuchelei und Bigotterie ist er gleich darauf ein Häufchen Elend.

Seinen Gegnern, den Prälaten, Priestern, hohen Beamten, Industriellen gibt er in seinen endlosen Tiraden in verzerrender, karikierender Form Gestalt und erlaubt ihnen doch ein Stück Authentizität und macht sie nicht vollends zu Pappkameraden, sondern lässt auch in ihrer Kümmerform Menschen aus Fleisch und Blut erkennen.

Nur an Marie, die verlorene Geliebte, wagt er sich nicht heran. Sie existiert lediglich als Stimme und Gesang von Sina Schulz und erscheint in seiner Erinnerung – ein schöner Regieeinfall – lediglich als Klagelied über eine entschwundene Vergangenheit und kaum noch geglaubtes Echo eines verlorenen Glücks.

Nächste Vorstellungen: 3.3., 4.3., 10.3.