Annette Pullen bietet am Kieler Schauspiel eine grelle Version von Horváths „Kasimir und Karoline“
Von Christoph Munk
Kiel. „Ein Prosit, ein Prosit der Gemütlichkeit!“ – „Alles singt zur Blechmusik“, heißt es in Ödön von Horváths Textbuch zu „Kasimir und Karoline“. Alles grölt, so klingt es dagegen von der Bühne des Kieler Schauspielhauses, und zwar alle durcheinander und möglichst bewusst falsch. Denn für moderate Töne hat Gast-Regisseurin Annette Pullen offenkundig in ihrer Inszenierung des 1932 uraufgeführten Volksstücks kein Gespür.

Jahrmarkt der schrägen Figuren: Szene aus „Kasimir und Karoline“ mit (v.li.) Isabel Baumert, Oliver E. Schönfeld, Felix Zimmer, Martin Borkert, Zacharias Preen und Agnes Richter. (Foto: Olaf Struck)
Alles ist groß und stark in dieser Aufführung mit dem Schauplatz Oktoberfest München. Schon das Bühnenbild von Iris Kraft meint die monumentale Behauptung eines Rummelplatzes: wuchtige Eis- und Bierbude links, zentral eine garstige Bretterwand, davor im Graben ein paar öde Biertische, im Hintergrund eine mächtige Brücke mit einer Treppe einerseits, andererseits einer breiten Rutsche. Drehbar ist das Ganze und roh zusammengezimmert und trotz Diskokugeln im Himmel und Lichterketten an der Rampe keinesfalls anheimelnd und ohne stille Winkel. Also: Alles geschieht hier brachial öffentlich.
An einem solchen Ort muss das Spiel extrem nach Außen gestülpt werden. Am Anfang funktioniert das in den auffällig gemeinten Kostümen von Barbara Aigner noch, dann wenn die aufgekratzten Leute den Zeppelin da droben bejubeln. Aber schon das erste Gespräch zwischen Kasimir und Karoline verlangt von oben und hinten von der Brücke herunter eine forcierte Lautstärke. Ein intimer Austausch findet nicht statt. Ein Satz wie Karolines „Wenn du so traurig bist, dann werd ich auch traurig“, klingt dann eher nach einem plakativen Vorwurf. Daran schaukeln sich Enttäuschung und Wut unmittelbar auf. Keiner ist noch richtig bei sich und kann darum nicht mehr aus seiner Haut. Sie wird blindlings ihrer Sehnsucht nach Amüsement folgen. Er steckt in seiner Lage fest: „heute abgebaut, morgen stempeln“ und „allein in der Welt, ganz und gar allein“.
Sofort ist alle Hoffnung erloschen
Vergnügungssucht gegen Arbeitslosigkeit. Aus diesem Dilemma führt kein Weg. Gnadenlos eindeutig schreit Annette Pullens Inszenierung diese Botschaft von Beginn an über die Rampe. Sofort ist alle Hoffnung erloschen. Zumal das gewesene Paar seine vielversprechenden Jahre hinter sich haben dürfte. Denn die Protagonisten sind mit gestanden Schauspielern besetzt: Agnes Richter ist deutlich dem Jungmädchenalter entwachsen und hat inzwischen imponierenden Frauenfiguren Charakter verliehen. Also sickert, wenn sie als bebrillte Bürokraft durch den Rummel streunt, immer ein wenig Torschlusspanik in die Gier nach Eisschlecken und Achterbahn. Und Zacharias Preen hat sonst die stämmigen Mannsbilder drauf und wirkt jetzt im Fach des noch jungen, enttäuschten Pessimisten etwas fremd. Stattdessen zeigt er einen Kerl, der fertig ist mit der Welt und sich in einen heillosen Zorn auf das Leben und die Liebe an sich hineinsteigert.

Nur wenige Momente der Stille: Kasimir (Zacharias Preen), Karoline (Agnes Richter) und Erna (Isabel Baumert, rechts). (Foto: Olaf Struck)
Das Eindeutige dominiert in dieser Inszenierung: Von Beginn an erscheint es sicher, dass es keine Entwicklung gibt. Zu krass sind die übrigen Figuren gezeichnet: zu affig Felix Zimmers Schürzinger, zu abgefeimt Oliver O. Schönfelds Kleinkrimineller Merkl Franz, zu verräterisch berechnend Isabel Baumerts Erna. Daneben begnügen sich Imanuel Humm (Kommerzienrat Rauch) und Christian Kämpfer (Landgerichtsdirektor Speer) mit grellen Karikaturen. Ansonsten nur übliches Jahrmarktspersonal: Nurit Hirschfeld, Claudia Friebel, Marius Borghoff, Martin Borkert und Almut Schmidt als Gorillamädchen mit grauslich schöner Gesangseinlage.
Nur selten Momente der Stille
„Solang der Alte Peter“, die gemütvolle Münchner Stadthymne, lässt Ödön von Horváth als Ouvertüre vor seinem Volksstück „Kasimir und Karoline“ spielen – absichtsvoll. Doch Annette Pullen weiß es besser und stimmt eine andere, rummelige Musik an, bevor das Stück nach der Pause als abscheulich gejohlter Stimmungshit wie auf einem Karussell gedreht wird. Das wirkt, als stehe sie beständig an einem Haut-den-Lukas. Und das verrät, wie wenig Sympathie sie für derlei Volksvergnügungen und die Menschen dort empfindet. Es wird immer schlimmer. Und es gibt immer seltener Momente für Stille, für jene legendären Horvath-Pausen, in denen „Bewusstsein und Unterbewusstsein miteinander kämpfen“. Und so gibt es auch keine Augenblicke des Atemholens, in denen zu ahnen wäre, dass es sich hier um „eine Ballade von stiller Trauer, gemildert um Humor“ handelt. Schade drum.
Info und Termine: www.theater-kiel.de
5. März 2017 um 19:37
Moin, moin!
In unserer kleinen Theatertruppe – zwischen 50 und 80 Jahre alt – herrschte Ratlosigkeit, was die Regie uns mit dieser Aufführung vermitteln wollte.
Die einzelnen Schauspieler, wie immer sehr gut.
Doch die Regie kann alles vermasseln.
Wir sind seit über 40 Jahren treue Besucher unseres Theaters und haben schon andere Tiefpunkte überstanden.