Daniel Karasek erzählt Richard Wagners „Siegfried“ als bilderreiches Märchen in der Kieler Oper
Von Christoph Munk
Kiel. Richard Wagner erkannte, wie er 1851 in einem Brief bekundete, die Ähnlichkeit seines Siegfried mit dem Burschen aus dem „Märchen von einem, der auszog das Fürchten zu lernen“. In heutiger Terminologie könnte man den dritten Teil der Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ eine „coming of age story“ nennen. In diesem Sinne erzählt Kieles Generalintendant Daniel Karasek seinen „Siegfried“ als die Geschichte eines Heranwachsenden – in faszinierenden Bildern und einem Klanggemälde, das GMD Georg Fritzsch mit dem Philharmonischen Orchester souverän ausbreitet.
Daniel Karaseks Absicht, Richard Wagners weltumspannendes, musiktheatralisches Werk mit den Mitteln eines klar und einfach begreifbaren Bilderbuchs auf die Bühne zu bringen, erweist sich in dieser Inszenierung als wirksame Methode. Sie kann den großen gedanklichen Überbau über weite Strecken ohne Verlust ausblenden. Lediglich Konrad Kästners kunstvolle Videoprojektionen gemahnen während der Vorspiele an kosmische Dimensionen, ohne eine wirklich enge Verbindung mit der Handlung einzugehen. Die Raumgestaltung der Künstlerin Chiharu Shiota lässt unter der Lichtmalerei von George Tellos Schauplätze entstehen, in denen sich Realität und Fantastik begegnen. Die Figuren darin folgen in den markanten Kostümen von Claudia Spielmann allerdings einer konkreten, leicht fassbaren Personenregie.
Mit dem jungen, anfänglich noch wild kindhaften Helden, einem reinen Toren gleich, schweift also der Zuschauer durch weite, wandelbare Räume. Der großen Schmiede in der Felsenhöhle des ersten Aufzugs scheint Jean Tinguely Pate gestanden zu haben, denn eine Maschinenskulptur aus Gestängen, Apparaten, Rädern und Lichtern beherrscht den Hintergrund. Dort wird Siegfried, dem Bradley Daley unverbrauchte Stimmkraft verleiht, sein Schwert Nothung schmieden, während sich Mime, den José Montero ohne zwergenhaftes Gift in der Stimme eindrucksvoll lauernde Beweglichkeit gibt, listig in seiner kleine Hexenküche versteckt.
Chiharu Shioas wuchernde, wabernde, wallende Webwerke bilden – ausgreifenden Flechten gleich – die ideal dekorative Ausschmückung für den tiefen, märchenhaften Wald des zweiten Aufzugs. Aus dessen unheimlichen Gründen kriecht der Unhold Fafner, ein von Marc Schnittger scharf geschnittenes und von acht Spielern bewegtes Drachengebilde, dem vor allem Timo Riihonens dröhnender Bass Dimensionen des Grauens verleiht. An diesem der Natur nachempfundenen Ort bricht in das Spiel vom furchtlosen Drachentöter – drastisch ausgespielt und gesanglich kontrastreich – der Konflikt der großen Rivalen Wotan-Wanderer (Thomas Hall) und Alberich (Jörg Sabrowski) hinein. Und hier – quasi im fantastisch vagen Waldweben – erhält auch der trefflich fabulierende Waldvogel (Mercedes Arcuri) eine erstaunlich menschenähnliche Gestalt.
Durch Eiswelten führt dann Siegfrieds Weg auf der Suche nach Brünnhilde. Denn die Konfrontation des Wanderers mit Erda, dem ewigen Weib (überzeugend tiefgründig: Tatia Jibladze), umgibt Chiharu Shiota mit einer starren Skulptur aus steifen Holzrahmen, getaucht in ein gnadenlos helles Licht. Durch diese Kälte muss auch Siegfried, um Wotans Speer zu überwinden und endlich die ersehnte Felsenhöhe zu erreichen, auf der er mit der Befreiung Brünnhildes seine Erfüllung findet. Hier dominiert das Rot der Liebesleidenschaft, und hier herrscht der volle Glanz der Stimmen, denn Bradley Daleys Held mit wunderbar strahlendem Tenorglanz gewinnt in Kirsi Tiihonen eine Partnerin, deren Sopran an Fülle und Farbigkeit absolut ebenbürtig erscheint.
Generalmusikdirektor Georg Fritzsch, der mit dem Philharmonischen Orchester Kiel den gesamten Klangreichtum in Wagners Partitur auskostet, mit gemessenen Tempi Zeit zum Atmen gab und mit kluger Dynamik wechselnde Stimmungen setzte, führt die Aufführung zu ihrem vor allem musikalischen Höhepunkt. Rasender Beifall, Jubel für alle.
Info und Termine: www-theater-kiel.de
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