Antje Thomas inszeniert am Landestheater Rendsburg Heinrich von Kleists „Käthchen von Heilbronn“ als pompöses, bühnenwirksames, aber weitgehend sinnfreies Spektakel
Von Hannes Hansen
Rendsburg. Schon wahr, Antje Thomas’ Inszenierung von Heinrich von Kleists „Käthchen von Heilbronn“ am Schleswig-Holsteinischen Landestheater wartet mit allerlei prallen Showeffekten, mit Farbe und Tschingderassabum auf. Dingen, die über weite Strecken richtig Spaß machen und die Zuschauer bei der Premiere am Samstag in Rendsburg zu Beifallsstürmen hinrissen. Aber reicht das?
Als sich der Vorhang in Rendsburg hebt, lodert auf Léa Dietrichs weitgehend leerer, nach hinten von einer bedrohlichen, braungrauen Zyklopenwand begrenzten Bühne ein mächtiges Feuer. Drum herum hocken merkwürdig gewandete, seltsam maskierte und bandagierte Gestalten. Merkwürdig sehen sie aus, weil sie Engel sind. Das erkennt man daran, dass an ihnen und später auch an fast allen anderen Mitspielern aufgepappte Federn haften. Später tragen Anna Franck, Jasna Waloch, Hans Helmut Jebe und Erwin Wittnebel auch Flügel, aber das kriegen wir dann. Zunächst sind sie Mitglieder eines Femegerichts, das über Friedrich Wetter, Graf vom Strahl (Johannes Lachenmeier) richten soll. Der nämlich habe ein braves Bürgermädchen namens Käthchen (Alexandra Pernkopf) durch Zauberei und andere Hexenkünste gefügig gemacht und sie in einen Liebesrausch versetzt. Das behauptet jedenfalls ihr Vater (Stefan Hufschmidt), der auf die Bühne gestürzt kommt und gleich, ganz Ehrenmann, seine Anschuldigungen herausbrüllt. Aber nix da, sagt seine Tochter. Ganz freiwillig sei sie dem Angebeteten gefolgt, und dass er sie zurückstößt, beleidigt und schlägt, was macht das schon.
Wie alle Kleistschen Helden von Amphytrion bis zum Prinzen von Homburg folgen sie der Unbedingtheit des Gefühls, der Gewissheit, dass ihnen eine innere Kompassnadel den richtigen, gerne einmal vom Traum, von einer Vision vermittelten Weg weist. Während aber die meisten am Widerspruch von Traum und rauer Wirklichkeit verzweifeln – wie übrigens der Dichter selbst – soll sich am Ende aber Käthchens Vision, die ihr ein Engel verkündet hat, erfüllen. So will es jedenfalls Kleist.
Der Weg dahin ist freilich ebenso weit wie verschlungen, für Kleist wie für Regisseurin Antje Thomas. Wetter vom Strahl muss erkennen, dass Kunigunde von Thurneck (Lisa Karlström), zu der er in heftiger Liebe entbrannt ist – aber wohl nur, weil er sie für eine Tochter des Kaisers hält, deren Hand zu erringen ihm ebenfalls ein Engel im Schlaf verkündet hat – dass also das angeblich holde Edelfräulein ein ganz abgefeimtes Weibsstück ist, das allein hinter seinen Ländereien her ist und außerdem unter einer schönen Schale potthässlich.
Bis es zum final showdown kommt, braucht es brennende Häuser, Schlachten, die Hilfe eines Cherubs, den Auftritt eines Kaisers und allerlei Merkwürdiges mehr. Das ist alles reichlich verwirrend und man merkt schnell, „Unbedingtheit des Gefühls“ allein reicht nicht. Reicht auch der Inszenierung nicht. Also gibt es viel Theaterdonner – metaphorisch und ganz realistisch mit Hilfe eines Donnerblechs. Kunigunde lockt verführerisch und kreischt drauflos wie das sprichwörtliche Waschweib, Käthchen fällt alle Naslang in Ohnmacht, Wetter vom Strahl drischt auf ein passender Weise vorhandenes Schlagzeug ein, wenn er in Verzückung gerät oder in Wut verfällt – ist übrigens beides das Gleiche –, Blitze zucken, Menschen werden Engel, Engel Menschen, die zwischendurch gerne einmal so funktionslos herumstehen wie Zeitgenossen auf einem Bahnsteig, denen gerade der Zug davongefahren ist. Männer tragen Frauenkleidung, Luftballons die schwere Menge platzen (Achtung, Symbol für das Luftreich der Träume!), ein Festwagen wird auf die Bühne geschoben, und weil Träume bekannter Maßen Schäume sind, wird Käthchen auch schon einmal gehörig eingeschäumt wie bei einer Slapstickkomödie. Nur Gottschalk, Wetter vom Strahls Knecht, behält einigermaßen die Übersicht. Nach nur einer Woche Probe spielt Flavio Klener, der für einen erkrankten Kollegen einspringen musste, diesen Gottschalk bravourös und mit souveräner Übersicht als Mann mit kaltschnäuziger Chuzpe und Herz. Dass auch er gegebenen Falls einen Engel abgeben muss, dafür kann er nichts.

„Das Kätchen von Heilbronn“ mit
Alexandra Pernkopf, Johannes Lachenmeier, Anna Franck (Fotos: Landestheater)
Was das alles soll? Woher soll ich das wissen? Es ist richtig was los auf der Bühne, und das Spektakel zeigt pompöse Bilder und macht Spaß. Mehr als das Verdikt Goethes, der 1810 die Aufführung des Stücks in Weimar ablehnte, dass es nämlich „ein wunderbares Gemisch von Sinn und Unsinn sei“, fällt der Inszenierung auch nicht ein. Die wechselt zwischen lyrischem Tiefsinn und Klamauk. Daran ändern auch die durchweg mehr als soliden Schauspielerleistungen nichts.
Doch halt, das stimmt alles nicht ganz. Zum Schluss nämlich, als sich herausstellt, dass Käthchen die wahre Kaisertochter ist und folglich Wetter vom Strahls geweissagte Braut, ist eigentlich alles paletti. Aber nicht am Landestheater. Dort sieht man die beiden so bedröppelt dreinschauen, als seien sie auf einer Beerdigung. Sind sie ja auch. Beerdigt nämlich wird die Idee vom amor vincit omnia, von der alles überwindenden großen Liebe und der Unbedingtheit des Gefühls. Das mag ja so seine Richtigkeit haben, aber man fragt sich: Wenn die Regisseurin das Stück nicht ernst nimmt, warum inszeniert sie es dann?
Infos und Termine: www.sh-landestheater.de
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