Das Kieler „SCHADS ensemble“ zeigt seine neue Produktion „Am Ende des Tages“

Von Christoph Munk

Kiel. Sowas weckt natürlich die Neugier: Ein verwinkelter, verwirrender Raum markiert die Bühne im Kesselhaus, irgendwo im Wiker Anscharpark. Geräumiger Treppenflur oder doch Innenhof? Jedenfalls jede Menge Türen, Treppen, Klappen, Aufgänge, Abgänge, Ausgänge, sogar ein Lift. Auf jeden Fall ist hier die Durchgangsstation für all die Figuren, die das „SCHADS ensemble“ in seiner neuen Produktion „Am Ende des Tages“ auf die Beine stellt.

„Am Ende des Tages“: Szene mit Pizza-Esser und Fahrrad. (Foto: Lorenz Oberdörster)

„SCHADS“ steht als Kürzel für die drei Schauspielerinnen Elena Schmidt-Arras, Christina Dobirr und Linda Stach, die mit dem von der Berliner Gruppe „Familie Flöz“ angeregten sprachlosen Maskentheater ihr adäquates Metier gefunden haben. Ihr erstes Stück „Im Tannengrund 1“ schien mit drei Personen in einer einsamen Pension noch überschaubar, jetzt greift das Trio ins volle Bühnenleben und bildet aus „elf Charakteren ein Typenkabinett im Treppenhaus“. Behauptet jedenfalls das Programmblatt. Zählt auch das Baby auf dem Arm? Mitgerechnet hab’ ich nicht.

Denn es geht unübersichtlich zu in diesem verwirrenden Wechselspiel. Das ist ein ewiges, ruheloses Kommen und Gehen. Gewiss, es gibt regelmäßig zelebrierte Gewohnheiten: Die ängstliche, ältere Dame im Erdgeschoss führt morgens ihren Hund Gassi. Der Postbote wirft täglich mit Schwung gelbe, blaue, rote Briefe in die Kästen. Jedesmal erwartet, zitternd vor Hoffnung, eine junge Künstlerin irgend einen positiven Bescheid. Der dicke Herr von oben wirft seinen Abfall in die Müllkippe. Ein Mann schleppt einen verdächtigen Sack in den Keller und macht sich immer wieder dort zu schaffen. Gegen Abend verzehrt ein Bewohner gierig seine Pizza auf den Treppenstufen. Irgendwann kommt ein Fremder, vermutlich mit Migrationshintergrund, und bringt seine Frau samt Baby sowie eine Stehlampe mit.

Durchschaut irgendjemand dieses dem Chaos abgewonnene Geschehen, in dem Abweichungen von der Normalität zusätzlich in die Irre führen? Soll bestimmt nicht sein. Denn eins ist sicher: Dieser Reigen der maskierten Gestalten bezieht seinen Reiz aus dem Ungewissen, aus den offenen Fragen und ungelösten Rätseln. Und irgendwann haben die drei Schauspielerinnen ihr Ziel erreicht: Ich lasse alle Handlungsfäden einfach fallen, suche keine Zusammenhänge mehr und pfeife auf jede Logik.

Täglich kommt ein Postbote mit Schwung. (Foto: Lorenz Oberdörster)

Einerseits kommt mir das wie eine Befreiung vor, denn nun kann ich die Aufführung wie ein irreales, verwunschenes Traumspiel wahrnehmen. Andererseits drängt mich mein Ausstieg aus der Geschichte in die Rolle eines ernüchterten Beobachters, der nur noch die kunsthandwerkliche Virtuosität des „SCHADS ensembles“ bestaunt: die faszinierende Ausdruckskraft der Masken, die fabelhafte Ausstattung samt Geräuschen, Musik und Licht, die eleganten, punktgenauen Umstiege in wechselnde Rollen, die hochpräzise Aneignung von scharf eingehaltenen Bewegungsmustern, die fein justierte Logistik hinter der Kulisse. Gegen Ende des Abends aber geht auch dieses Interesse zur Neige.

„Am Ende des Tages“. Was für ein seltsamer Titel? Im Politiksprech hat sich diese Floskel eingeschlichen zur Beschreibung eines Ergebnisses, dem ein länglicher, möglicherweise komplizierter Prozess vorausging. Was also bleibt am Ende dieses Tages beim „SCHADS ensemble“? Höherer Sinn, tiefere Bedeutung? „Ein modernes Märchen?“, vermutet das Programmblatt, „ein hoch aktuelles Stück zum Lachen, Wundern und Sinnieren“. Ja wenn’s denn so ist … Zustimmung. In diesem perfekt durchgeplanten Puppenspiel vermisse ich allerdings Menschen, weil sie durch die Spielerinnen hinter Masken und Mechanik nicht lebendig, sondern versteckt werden. Ohne Gesichter offenbaren sie keine Individualität, ohne Sprache bilden sie keine Gesellschaft. Darum bleibt mir zum Schluss nur das als spannendste Frage: Wem gehört eigentlich das Fahrrad?

Info und Termine: www.schadsensemble.de