Neue Produktion im Werftpark: „Sophie/Clara“ erzählt von zwei Frauen unterm Nazi-Regime
Von Christoph Munk
Kiel. Wie sich die Bilder gleichen: In beiden steht hoch aufgerichtet im grellen Scheinwerferlicht eine junge Frau, gekleidet in die schmucklos strenge Uniform des Bundes Deutscher Mädel (BDM). Doch auch wenn die beiden Figuren den selben Ausgangspunkt nehmen, die Wege ihres Lebens werden sie in entgegengesetzte Richtungen führen. Die eine, Sophie Scholl, wird von Hitlers Richtern und Henkern hingerichtet. Die andere, Clara Sabrowski, wird dem Führer ihr kurzes Leben lang treu ergeben sein und in den Endkämpfen des Zweiten Weltkrieges einen bis heute ungeklärten Tod finden.

Angekommen im Kreis der Münchner Studenten: Sophie Scholl (Pia Leokadia) in der Mitte (Foto: Olaf Struck)
„Sophie/Clara“, die neue Produktion im „werftpark kiel – junges theater“ erzählt – nach den Texten von Christoph Busche und unter der Regie von Astrid Großgasteiger – in zwei voneinander durch eine Pause getrennten Stücken das Schicksal zweier gegensätzlicher Frauenfiguren, beide gewissermaßen Opfer des Nationalsozialismus, wenn auch auf höchst unterschiedliche Weise. Sophie Scholl steht als ein Mitglied der Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose“ im deutschen Geschichtsbuch und damit als moralisches Vorbild im öffentlichen Bewusstsein. Clara Sabrowski versank lange Jahre im Dunkel des Vergessens, bis zwei ihrer Nachkommen (Susanne und Jan Peter Wiborg) ihre Biografie erforschten und erst vor zwei Jahren in dem Buch „Glaube, Führer, Hoffnung“ bekannt machten.
Bei allen Gegensätzen in den Lebensläufen und in den damit verbundenen inneren Haltungen ihrer Hauptfiguren etablieren Christoph Busche und Astrid Großgasteiger Parallelen im Handlungsablauf. Busche verwendet in beiden Teilen eine Montagetechnik aus kurzen Szenesplittern und gibt den Bruchstücken zwar eine fast durchgängige chronologische Ordnung, unterbricht sie allerdings bei der Schilderung von Sophies Werdegang durch Einschübe aus ihren Verhören und gliedert sie so durchaus reizvoll. Astrid Großgasteigers Inszenierung folgt diesem beschleunigenden Rhythmus mit einem geschmeidigen Spielfluss, der nur gelegentlich in Hektik verfällt. Die Regie erhält darin Unterstützung durch Lisa Überbachers von zwei verschiebbaren Treppenaufgängen dominiertem Bühnenraum, findet so einfallsreiche, gelegentlich sogar pfiffige Übergänge und schafft munter wechselnde und jedes Mal wieder neu aussagekräftige Bilder. Nur gelegentlich versteigt sich Großgasteiger in dröhnendes Pathos, etwa wenn sie Geräuschkulissen effektvoll aufdreht oder eine wuchtige Allee aus Flammenschalen arrangiert.

Streng in Uniformen: Szenenbild aus „Clara“ mit Pia Leokadia (unten), Sebastian Kreuzer und Kristin Hansen. (Foto: Olaf Struck)
Auch in der Anordnung der Personen gleichen sich die Bilder. Im engeren Kreis zeichnen Kristin Hansen, Lasse Wagner und Sebastian Kreuzer variabel und markant jeweils die Gefährten der beiden Protagonistinnen; den entschiedenen Gegenfiguren – Sophies Ankläger und Claras Geliebter Kurt – gibt Eirik Behrend eindeutige Profile. Und Annegret Taube macht aus der Rolle der „Zuseherin“ vielfältig deutbare Gestalten: Alter Ego, Mahnerin, stille Begleiterin, Chronistin. Beherrscht aber wird das Spiel von Pia Leokadia. Sie verleiht sowohl der Sophie als auch der Clara die angemessene Intensität. Sie strahlt ruhiges, unerschüttertes Selbstbewusstsein aus, wenn es um Sophies Mut zum Widerstand gegen Hitlers Tyrannei geht, und den ungebrochenen Stolz, für die moralische Standhaftigkeit zu büßen. Und mit ebenso aufrechter Haltung stattet sie Claras unbeugsame Gefolgschaft zum Führer aus und den unerschütterlichen Glauben an den „Endsieg“.
Zwei starke Frauen also. Aber wo sind die Unterschiede? An welcher Stelle trennen sich die Wege zum aktiven Widerstand bei der einen, in den blinden Gehorsam bei der anderen? Busche und Großgasteiger suchen die Antworten in den Biografien. Sophie Scholl gerät durch ihr Studium und ihren Bruder in das Milieu der Akademiker, wo die Feier der Freiheiten ihre Zweifel am Nazi-Regime verstärken. Clara Sabrowski bleibt unter dem Einfluss der BDM-Hierarchie, wo es darauf ankommt, zu funktionieren und alle individuellen Zweifel zu unterdrücken. Im Hintergrund aber verdeutlichen Textbeigaben und Musikeinspielungen die Gegensätze. Besonders auffällig jeweils am Schluss: Sophies Leben endet mit den letzten Zeilen aus Bert Brechts Liebesgedicht „Erinnerung an die Marie A.“; Claras ungewisses Ende wird von dem als Durchhalteschlager angesehenen Lied „Davon geht die Welt nicht unter“ kommentiert. Alles klar. Einvernehmlicher Beifall.
Info und Termine: www.theater-kiel.de
27. März 2017 um 10:39
Es war die „weiße Rose“, nicht die „weise Rose“ 😉