Arthur Millers „Hexenjagd“ am Landestheater

Von Hannes Hansen

Schleswig. Im Jahre 1953 befanden sich die USA schon seit geraumer Zeit in Geiselhaft von Senator Joseph McCarthy, dessen Wahnvorstellungen von „Reds under the Beds“ eine Welle von Verfolgungen wirklicher und angeblicher Kommunisten, Sozialisten und libertärer Linker ausgelöst hatte. Eine Welle, die bis weit ins bürgerlich liberale Lager schwappte und zahllose Leben zerstörte. Auf ihrem Höhepunkt reagierte Arthur Miller, der 1956 selbst zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, weil er sich weigerte, vor einem Senatsausschuss gegen Kollegen auszusagen, mit dem Drama „Hexenjagd“ auf die Verfolgungen.

Realer Hintergrund und Gegenwartsbezug

Die Circus-Truppe:
Reiner Schleberger, Nenad Subat, Ingeborg Losch, Siine Behrensn, René Rollin. Manja Haueis, Johannes Lachenmeier
(Fotos: Landestheater)

Hintergrund des Stücks sind die realen Hexenprozesse im Jahre 1692 im puritanischen Städtchen Salem in Massachusetts, die über zwanzig unschuldige Opfer forderten. Eine Gruppe von Mädchen, die fürchten, wegen „unzüchtigen“ Tanzens im Wald bestraft zu werden, beschuldigen wahllos Mitbürger und -bürgerinnen, mit dem Teufel im Bunde zu sein und sie verhext zu haben. Ein Vertreter des Gouverneurs von Massachusetts glaubt, trotz Zweifeln an der Schuld der Angeklagten die Staatsräson und seine eigene Machposition wahren zu müssen und verurteilt die Haupangeklagten zum Tode.
Man muss nicht lange nachdenken, um an dem schon bei seiner Premiere beziehungsreichen Stück Bezüge zum Heute zu entdecken. Donald Trumps Verunglimpfung der Mexikaner und Moslems, Hatz auf Flüchtlinge und Muslime bei Pegida und rechtsextremen Parteien oder ein mörderischer Islamismus sprechen eine deutliche Sprache. Es ist also nicht weiter verwunderlich, das das Schleswig-Holsteinische Landestheater das Stück auf den Spielplan setzt. Premiere war am vergangenen Sonntag in der vorläufigen Spielstätte Slesvighus in Schleswig.

Vor der Pause: Humba humba täterä. Circus, Farce und Kasperletheater

Die Anklägerinnen:
Siine Behrend, Neele Frederike Maak, Alexandra Pernkopf

Begierde pur: Alexandra Pernkopf, René Rollin

Wie nutzt nun das Landestheater diese Steilvorgabe und versetzt das Stück ins einundzwanzigste Jahrhundert? Nun, zunächst einmal dadurch, dass Sebastian Ellrich Regisseurin Nora Bussenius einen Bühnenraum zur Verfügung stellt, der mit wenigen sinnfälligen Requisiten Gefängnis, Gerichtsplatz und Circus zugleich ist, was einen schnellen Szenenwechsel ermöglicht.
Vor der Pause beginnt dann auch das unheilvolle Spiel um Hexenwahn, Habgier, Geltungsbedürfnis und Eifersucht in diesem Circus. Reiner Schlebergers Pastor Parris will vor allem seine Haut und sein Ansehen – seine Tochter Betty  ist eine der angeblich vom Teufel besessenen Mädchen – retten und hopst mit sich überschlagender Stimme als der Pierrot der Commedia dell’arte wie auf einem Gemälde Watteaus über die Bühne, eine erbarmungswürdige Lachnummer. Der reiche Gutsbesitzer Thomas Putnam  (Johannes Lachenmeier) gibt mit Peitsche und Zylinder den Raubtierdompteur und brüllt absurde Anschuldigungen heraus, und Manja Haueis’ schrill auf- und übertakelte Ehefrau Ann Putnam assistiert ihm als ein wie das sprichwörtliche Waschweib keifendes Nummerngirl. Anita Pernkopf gibt das Mädchen Abigail Williams, die aus Eifersucht handelnde treibende Kraft hinter den Anklagen, als weiblichen Clown, als Pierrette und Tanzfigur auf einer Spieldose, bevor sie zur Sache kommt. Nenad Subat schließlich liefert als Sklavin Tituba eine verhuschte Parodie von Conchita Wurst ab.

Pierrette und Ehebrecher:
Aleandra Pernkopf, René Rollin

Was all das Humba humba täterä, was die zur Farce und zum Kaperletheater gewendete Umdeutung der Tragödie nun soll? Ja, das weiß ich auch nicht, denn einen höheren Erkenntnisgewinn zum Gehalt des Stücks bringen die Circus-Stückchen nicht. Gewiss, alle Beteiligten agieren putzmunter und es geht angemessen komisch und bisweilen angenehm gruselig zu. Prompt kommen auch Lacher aus dem Publikum. Nur muss man ja wohl einwenden, dass „Hexenjagd“ zwar ein Spiel, aber eines um Leben und Tod ist. In einem solchen Spiel sind die Vorgänge alles andere als komisch. Was uns heute als lachhaft erscheint, war einmal blutiger Ernst. Über den IS lacht man auch nicht.

Nach der Pause: Schluss mit lustig, die Inszenierung begibt sich auf Augenhöhe mit dem Stück

Der Richter und das Mädchen:
Uwe Kramer, Neele Frederike Maak

Zum Glück ändert sich alles nach der Pause. Die Inszenierung nimmt das Stück ernst und bietet packende Szenen. Das ist zunächst einmal Uwe Kramer und René Rollin gedankt. Uwe Kramer gibt den Ankläger Danforce als Vertreter der Staatsräson, der nur eines will: gewinnen. Er agiert  auf dem Hochtrapez mit solch schneidender Härte und ganz und gar hinterhältiger, als Freundlichkeit sich tarnender Boshaftigkeit, dass es schaudern macht. Roland Freisler, Hitlers Oberschergen am Volksgerichtshof, assoziiert man bei seinem Spiel ebenso wie Napoleon, dessen sich gewaltig bauschenden Mantel auf Jacques Louis Davids Reiterporträt seine überdimensionierte Toga zitiert.
René Rollin als Farmer John Proctor ist neben dem Pastor John Hale (Flavio Kiener) der einzige Vertreter der Vernunft. Er ist gezwungen, sich zwischen zwei Übeln zu entscheiden. Wenn er sich treu bleibt und den Vorwurf der Hexerei wahrheitsgemäß zurückweist, geht er in den Tod. Wenn er sich retten will, muss er lügen und damit andere Unschuldige in den Tod reißen. An diesem Widerspruch zerbricht er. Eindrucksvoll auch Neele Frederike Maak als Dienstmädchen Mary Warren. Wie sie bibbert und sich windet, wie sie die Wahrheit sagen will und nicht kann, wie sie ihr Unglück hinausschreit und -wimmert, lässt die Farce des Anfangs vergessen. Ganz still und anrührend Lisa Karlström als Elizabeth Proctor, ein unschuldiges Opfer der Eifersucht Abigails, die ihr den Ehemann und Ex-Geliebten nehmen möchte.

Pathosformel:
Jacques Louis David,
Napoléon

Hier hat die Inszenierung dann auch ihre starken Seiten. Sie besticht mit der klaren Herausarbeitung der Kernaussage des Stücks, dass Heuchelei, Fanatismus, religiöser Übereifer, Engstirnigkeit und Verbohrtheit den Nährboden für Übel jeglicher Art abgeben.

Ein Einwand freilich bleibt. Die Inszenierung legt allzu viel Gewicht auf das Motiv der Eifersucht, die Abigail Williams antreibt. Dass einen Fanatiker wie Thomas Putnam, der sich am Hab und Gut der Verurteilten bereichern will, wie der Text von „Hexenjagd“ nahelegt, auch und vielleicht vor allem pure Habgier antreibt, dass also religiöser Fanatismus eine ganz und gar unheilige Allianz mit sehr irdischem Gewinnstreben eingeht, fällt am Landestheater weitgehend weg.

Infos und Termine: www.landestheater-sh.de