Das Landesmuseum Schloss Gottorf zeigt Emil Noldes Südseebilder
Von Hannes Hansen
Dunkelhäutige, krausköpfige Menschen schauen den Betrachter von den Bildern im Reitstall des Landesmuseums Schloss Gottorf mit intensivem Blick an; Palmen wiegen sich am Strand, Himmel und Wolken glühen starkfarbig auf, und durch dichten Dschungel hangeln sich scheue Tiere. Seit vergangenem Sonntag zeigt das Landesmuseum in Zusammenarbeit mit der Stiftung Horn und der Nolde Stiftung aus Anlass des einhundertundfünfzigsten Geburtstags des Malers die Ausstellung „Nolde in der Südsee“. Die fast zweihundert Bilder, darunter neunzehn Ölgemälde, zahllose Aquarelle, Pastell- und Tuschzeichnungen, sind der künstlerische Niederschlag einer Reise, die Emil und Ada Nolde im Jahre 1913 als Gäste einer „Medizinisch-demographischen Deutsch-Neuguinea-Expedition“ des Deutschen Reiches unternahmen.
Der koloniale Hintergrund
Der eigentliche Grund für die Reise vom Herbst 1913 bis August 1914 war die Sorge des Reichskolonialamtes um die Gesundheit der „Eingeborenen“, die unter verheerenden, von den Europäern eingeschleppten Epidemien litten. Epidemien, die den Arbeitskräftenachschub für die riesigen Palmenplantagen bedrohten, die deutsche Agrarunternehmer auf Neuguinea angelegt hatten, um den unersättlichen Hunger des Deutschen Reiches nach Palmöl zu stillen. Es hieß also, zu handeln und erst einmal Ursachenforschung zu betreiben. Mit der Transsibirischen Eisenbahn fuhren zwei Tropenmediziner, eine Krankenschwester und das Ehepaar Nolde über Korea, Japan, China – wo man einen mehrwöchigen Zwischenstopp einlegte – und dann weiter über die Philippinen nach Neuguinea.
Die Faszination des Urtümlichen
Hatte er schon auf der Reise eifrig aquarelliert und gezeichnet, so geriet Nolde in Neuguinea nun in einen wahren Schaffensrausch. Hunderte von klein- und großformatigen Aquarellen und Zeichnungen entstanden, dazu die neunzehn in Gottorf gezeigten Ölgemälde. Der sechsundvierzigjährige Künstler erlebte eine Art geistiger Revitalisierung. Er meinte, in den „Wilden“, wie er sie nannte, Menschen zu entdecken, die die moderne Zivilisation noch nicht dem „ursprünglichen“ Sein entfremdet hatte. Wieder und wieder sprach und schrieb er von diesem „Ursprünglichen“, vom „Urtümlichen“. Ein Reiz, dem schon Jahre zuvor Paul Gauguin in Polynesien erlegen war und dem auch „Brücke“-Kollege Max Pechstein etwa zur gleichen Zeit wie Nolde auf dem mikronesischen Palau nicht widerstehen konnte.
In seinen schriftlichen Aufzeichnungen, in Briefen und Gesprächen beklagte Nolde das rasche Verschwinden dieses Urtümlichen, den Einbruch der Zivilisation in Form von Ölpalmenplantagen und Lohnarbeit in eine als jungfräulich unberührt empfundene Welt. Sie wollte er zumindest im Bild bewahren und der Nachwelt erhalten.
Zwiespältige Gefühle
„Nolde in der Südsee“ weckt zwiespältige Gefühle. Zum einen freut man sich, dass nach vielen Jahren wieder einmal die Bilder einer großen Faszination im Heimatland des Malers zu sehen sind. Der Reiz des Exotischen, die glühenden Farben, die Szenen scheinbar paradiesischer, expressionistisch überhöhter Unschuld sprechen, ja springen den Betrachter unmittelbar an. Die leise Trauer über den Verlust dieser Unschuld, die sie grundiert, erhöht noch ihren Reiz für Zivilisationskritiker jeglicher Couleur.
Freilich muss man diese Bilder auch dekonstruieren, ihre Botschaft gegen den Strich lesen und ihren geheimen Subtext entziffern. Dann muss man feststellen, dass Nolde seinen eigenen Vorurteilen, die die seiner Zeit waren, erlegen war. Was seine Zeichnungen und Gemälde nicht zeigen, ist, dass die „Wilden“, die er porträtierte, keineswegs „urtümlich“ waren, sondern Erben einer Jahrtausende alten Kulturentwicklung. Und so paradiesisch, wie Nolde es uns glauben machen möchte, waren die Zustände in Neuguinea durchaus nicht. Bei vielen Stämmen etwa wurden Kannibalismus und Kopfjägerei praktiziert, und Raubzüge gegen Nachbarstämme dienten der Beschaffung von Opfern für rituelle Zeremonien. Das alles ist auf Noldes Bildern ebenso wenig zu sehen wie die Vernichtung oder Verfälschung der indigenen Kulturen durch Kolonialisten und christliche Missionare. Konnte oder wollte er es nicht sehen?
Neuer Blick
Solche Einwände sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kuratorin Uta Kuhl und ihre Mitarbeiter dem Publikum auf Schloss Gottorf eine großartige Ausstellung präsentieren, die mit vielen bislang un- oder selten gezeigten Zeichnungen und Aquarellen einen neuen Blick auf das Werk Emil Noldes gestatten. Ein naiver Blick freilich, der sich mit dem Vergnügen am Reiz des Farblichen und der Sehnsucht nach Exotischem begnügt, wird ihr nicht gerecht, auch wenn „Nolde in der Südsee“ vermutlich das werden wird, was man auf Neudeutsch einen „Blockbuster“ nennt.
Landesmuseum Schloss Gottorf, Reithalle: Nolde in der Südsee. Dauer: 8.5. – 3.9. Öffnungszeiten: Mo – Fr 10 – 17 Uhr, Sa + So 10 – 18 Uhr. Umfangreiches Begleitprogramm.
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