Beim Campus Festival rockten sechs Bands gegen Rechts und Rassismus

Von Jörg Meyer

Kiel. Elf Jahre ist der Song „Exportschlager Leitkultur“ der Berliner Electro-Punk-Band Egotronic alt, „aber leider wieder aktuell“, wie Sänger Torsun beklagt. Auch in Kiel, wo jüngst die AfD in den Landtag einzog. Bevor sich das Land, die Republik und ganz Europa noch mehr populistisch „bräunen“, ist es also höchste Zeit, erneut aufzustehen „contre le racisme“, so beim vom AStA der Uni Kiel zusammen mit zahlreichen Antirassismus- und Antifa-Gruppen organisierten Campus Festival vor dem Audimax.

Und das bei „Kaiserwetter“, dessen frühsommerliches Quecksilber schon in den sonnabendlichen Nachmittagsstunden Fleur Earth aus Köln, die kolumbianischen Latin-Rocker Doctor Krapulla und die Kieler Punk-Buben Stumbling Pins weiter in die Höhe jagten.

Die Liebe und anderes Drangsal

Max Gruber, aka Drangsal, sang gegen Ausgrenzung von der Liebe … (Fotos: ögyr)

Wo man sich in den Pausen auf den Gräsern rund ums Audimax abendsonnt, um gerade nicht „braun“ zu werden, laden Drangsal „mit noch ein paar Liebesliedern zur blauen Stunde“. Der Herxheimer New-Wave-Retro-Sänger Max Gruber lobt den Kieler Strand, wo er vor dem Gig „eine Muschel und einen Krebs gefunden“ habe und nun „der glücklichste Junge Kiels“ sei. Hübsche lokalkolorierte Anbiederung – und arg naiv. Indes sind seine Songs tiefsinniger, begleitet von knüppelharten Drums und Gitarren, die mehr dem Heavy Metal als Depeche Mode (unter anderem seine Gewährsleute) alle Ehre machen. Im mit den lang gezogenen melancholisch-düsteren Lines sehnsüchtigen „Love Me Or Leave Me Alone“ und vor allem in „Allan Align“ (das Video mit Jenny Elvers machte Furore) setzen Drangsal ein Zeichen der (Nächsten-) Liebe gegen den Rassismus.

Frauenpower: The Baboon Show – Cecilia Boström (l.) und Frida Ståhl

„Girls to the Front!“ hat sich Cecilia Boström, Lead-Sängerin der schwedischen Punk-Band The Baboon Show, auf den Oberarm tätowiert und macht nicht nur damit Front gegen eine weitere Form der Ausgrenzung: das Patriarchat. Der Wilden steht eine Kollegin zur Seite, Bassistin Frida Ståhl. Dass mit den beiden Powerfrauen noch zwei Männeken musizieren, mag man ob ihrer Kraft gegen männlich dominierte Punk-Kultur fast vergessen.

Gegen das Provinzielle der „Leitkultur“

Vereint die Pogo-Tänzer: Egotronic-Sänger Torsun

„Ich bin nicht hier, um diplomatisch zu sein“, verteidigt Egotronic-Sänger Torsun den ironisch bissigen Song „Hallo, Provinz“ vom vor einer Woche erschienenen Album „Keine Argumente“. Dass darin das Dörflich-Kleinstädtische als Hort einer falsch verstandenen „Leitkultur“ gebrandmarkt wird, erzeugt bei manchem, selbst linkem Kieler Lokalpatrioten (zumal fußballernd gerade aus der Provinz in die große weite Welt der 2. Liga aufgestiegen) Missgunst. Egotronic ficht das nicht an. Und sie haben mit „Scheiße bleibt Scheiße“ (gemeint ist die braune) alle nun vereint Pogo Tanzenden wieder auf ihrer Seite: gegen die Leit- und für die antirassistische, antifaschistische, antikapitalistische und nicht zuletzt antipopulistische Subkultur.