Im Kieler Werftpark-Theater ist der Abenteuerroman „Die Schatzinsel“ als turbulentes Spektakel zu sehen

Von Christoph Munk

Kiel. Irgendwo hinterm Horizont, fern der heimatlichen Küste Englands und weit hinter dem Meer liegt eine verlassene Insel. Dort ruht in einem Versteck der kostbare Schatz des sagenhaften Piraten Captain Flint. Als der jugendliche Jim Hawkins davon erfährt und im Nachlass des alten Seemanns Bill Bones eine Karte des Fundortes entdeckt, zieht es ihn unwiderstehlich dorthin: Er heuert auf einem Schiff an, begleitet von Freunden und Seeleuten – und leider auch von bösen Piraten. Und so kommt es, ehe das glückliche Ende erreicht ist, zu gefährlichen Auseinandersetzungen und wilden Kämpfen.

Mit Stelzbein und Krücke auf grünem Rasen: Horst Stenzel als Long John Silver in „Die Schatzinsel“. (Foto: Olaf Struck)

Wer hätte die Geschichte nicht gelesen? Wer nicht eine der zahlreichen Film- oder Fernsehfassungen gesehen? „Die Schatzinsel“ von Robert Louis Stevenson ist seit über 100 Jahren ein Klassiker der Abenteuerliteratur, voller atemberaubenden Wendungen und voller faszinierender Figuren. Und nun geht er in einer Dramatisierung von Christoph Busche und unter der Regie von Astrid Großgasteiger über die Bühne des Theaters im Werftpark. Ein buntes, aufgekratztes Spektakel wurde daraus, so voller Spiellust, dass die Bretter im Haus zu eng werden und Hang und Wiese, Bäume und Teich im Parkgelände zu Schauplätzen werden.

Astrid Großgasteiger, die Theaterleiterin, besitzt als Regisseurin das Talent, immer für Bewegung zu sorgen. Am Anfang schon: Da wippt der verwaiste Schaukelstuhl des Erzählers ganz von alleine. So geht es dann weiter. Im pfiffig ausgedachten Bühnenbild von Karl-Heinz Steck – erst ärmliche Hafenkneipe, später ramponiertes Segelschiff – ist immer was los. Fässer werden gerollt, Kisten gepackt, Luken geöffnet und wieder geschlossen, ein Ausguck bestiegen. Und ab und zu stößt, von der Crew unbemerkt, der geschmeidig hinterhältige Pirat Schwarzer Hund (Pia Leokadia) einen Seemann in die See.

Jim Hawkins (Annegret Taube) und der väterliche Freund Dr. Livsey (Sebastian Kreuzer) über der Schatzinsel-Karte. (Foto: Olaf Struck)

Für Leben in der Bude wie an Bord ist also gesorgt. Schließlich beschäftigt die Regie zusätzlich eine Choreographin (Helen Rosenthal-Struck) und eine Kampftrainerin (Franzy Deutscher). Und die energisch angeleiteten Schauspieler des „jungen theaters“ werfen sich mit angemessenem Eifer in ihre Rollen: markantes Mienenspiel, schwunghafte Gestik und lässig im Umgang mit der literarisch steifen, etwas abgehoben klingenden Sprache. Allen voran behauptet sich Annegret Taube als Jim Hawkins mit sportlichem Elan, nur knapp dahinter Sebastian Kreuzer (Dr. Livsey / Ben Gunn), Kristin Hansen (Piratenbraut Molly / Mrs. Hawkins) und Lasse Wagner (Israel Hands / Der blinde Pew). In einer anderen, fachlich ausgereiften Altersgruppe agiert Horst Stenzel: zunächst als Bill Bones, vor allem aber später mit Stelzbein und Krücke als zwielichtiger Long John Silver. Gleichgewichtig neben ihm: Tom Keller, besonders wenn er Käpt’n Smollett mit breiter Brust versieht.

Soviel Aktivität erweist sich als hilfreich, wenn man darüber hinweg sehen will, dass die Handlung hin und wieder schleppt, oder dass vielleicht die eine oder andere Wendung der Erzählung entbehrlich gewesen wäre. Endlich aber öffnet sich die Theatertür. Dem Beiboot folgend gelangen die Zuschauer auf die Schatzinsel, sprich: offenes Gelände unter freiem Himmel. Und dort verliert sich das dramatische Geschehen in die Form eines munteren Indianerspiels. Eine Art „Räuber und Gendarm“ mit vorgeschriebenen Texten. Da passt es, dass sieben Statisten beim Fechten, Rennen, Toben und Tanzen mitmischen. Das wuselt munter über Gras und Hang. Die Zuschauer hautnah dabei und im Finale vor dem Abendhimmel beifallsfreudig. War doch alles schön altersgemäß und genregerecht. Und im Premierenpublikum dreht sich einer aus der Zielgruppe – acht Jahre plus – zu seinem Begleiter: „War super, ne!“. Mehr geht nicht. Oder?

Info und Termine: www.theater-kiel.de