Stadtgalerie zeigt Arbeiten des Fotokünstlers Joachim Richau
Von Hannes Hansen
Kiel. Seinen künstlerischen Weg, sagt Joachim Richau, könne man als einen vom Abbild zum Bild beschreiben. Kaum eine andere Gegenüberstellung könnte diesen Weg besser illustrieren als die eines Fotos einer Arbeiterin an einer Kartoffelsortiermaschine von 1986 mit dem vierteiligen Serienbild eines schneebedeckten Steinbruchs, das der 1952 in Berlin (Ost) geborene Joachim Richau 2010 aufnahm. Gehört das erste trotz seines intimen und ganz privaten Blickwinkels noch zum Genre der sozialdokumentarischen Fotografie à la Walker Evans oder Arthur Rothstein, deren dokumentarische Arbeit für die US-Farm Security Administration in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in der DDR höchstes Ansehen genoss und viele Fotografen inspirierte, so steht das Serienbild ganz für sich allein, erzählt keine Geschichte und könnte aus nur wenigen Schritten Abstand für Malerei gehalten werden. Unterläuft das Foto der jungen Arbeiterin mit ihrem ebenso skeptischen wie verlorenen Blick das offiziell gewünschte Bild des Arbeiterheroen an der Erntefront, so vermitteln die vier Fotos des schneebedeckten Steinbruchs mit ihrer malerischen Qualität geradezu beispielhaft zwischen den Kategorien des Erhabenen und des Schönen, wie sie die Kunsttheorie seit der Antike und in ihrer Nachfolge der mit Namen wie Edmund Burke oder Immanuel Kant kennt.
Große Heterogenität
Zu sehen sind diese Bilder und gut zweihundert weitere in der Ausstellung mit dem sperrigen, aber exakten Titel „Joachim Richau. WERK WANDEL. Eine Biografie zwischen Deutschland und Schweden“ in der Kieler Stadtgalerie. Als Kurator Peter Kruska vor drei Jahren in der Künstlerkolonie Ahrenshoop Joachim Richau kennen lernte, zeigte er sich von der Qualität der Arbeiten des in Norddeutschland fast unbekannten Fotokünstlers (1990 hatte er eine Ausstellung in der Kunsthalle Wilhelmshaven, 2014 eine in einer Hamburger Galerie) ebenso begeistert wie von deren Vielfalt. Das Ergebnis der Begegnung ist die umfangreiche Kieler Ausstellung, die nach ihrem Ende noch in Berlin, Cottbus und Dresden zu sehen sein wird.
Drei Werkkomplexe deckt die Ausstellung ab. „Horizont oder die Illusion der Fremde“ präsentiert vorwiegend die zwischen 1984 und 1996 entstandenen quasidokumentarischen Arbeiten Joachim Richaus, wie sie beispielhaft die Serie „Beerfelde“ mit den Fotos des Lebens in einem brandenburgischen Dorf nahe Berlin zeigt. Im „Stammbuch“ mit dem Untertitel „Die Irritation der Erfahrung“ aus den Jahren 1990 bis 2010 werden die Bilder privater und intimer, teilweise, wie die Polaroids „Lenas Küche“ mit Aufnahmen von Resten einer Küche in einer verlassenen sowjetischen Garnison, auch rätselhafter.
Mit „Fragment oder die Gegenwart des Zweifels 2005 – 2016“ wird die Bildsprache endgültig malerisch und wechselt zwischen der Wiedererkennbarkeit der farbigen Steinbruchbilder und den schwarzweißen Detailaufnahmen von „svart is“ (schwarzes Eis), die eher an abstrakte Kompositionen verschiedener Spielarten des Informel erinnern.
Gemeinsames
Das bei aller Heterogenität Gemeinsame der Bilder Joachim Richaus ist nach eigenen Angaben ihr biografischer Bezug und der eigene Blickwinkel, dem es nicht um inhaltliche Belange sondern allein um die bildhafte Qualität geht. Eine Qualität, die sich in allen in Kiel gezeigten, einen weiten Themenkomplex umreißenden Arbeiten zeigt. Ein Glücksgriff des Kurators.
Stadtgalerie Kiel: „Joachim Richau. WERK WANDEL. Eine Biografie zwischen Deutschland und Schweden“. Eröffnung 9.6., 19 Uhr. Dauer der Ausstellung: 10.6. – 3.9. Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 10 – 17 Uhr, Do 10 – 19 Uhr, Sa, So 11 – 17 Uhr, während der Kieler Woche täglich 10 – 18 Uhr, Museumsnacht, Freitag, 25.8. 19 – 24 Uhr. Führungen donnerstags 17 Uhr und nach Vereinbarung. Zur Ausstellung erscheint das Fotobuch „Fragment“, Preis 25 Euro, im Buchhandel 35 Euro.
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