Die verschollene Generation – Ein Kieler Maler auf Usedom

Von Hannes Hansen

Ein Malerrefugium – Lüttenort (Fotos: Hannes Hansen)

Von Anklam fahre ich weiter nach Usedom. Nicht in die so genannten Kaiserbäder nach Heringsdorf, Ahlbeck oder Bansin. So schön ihre Strände sind, so verlockend die Seebrücken, die ganz reizend wieder restaurierte und heimelig aufgebrezelte Bäderarchitektur, im Sommer meide ich die Ostseestrände Usedoms wie der Teufel das Weihwasser. Es geht dann hier zu wie überall an deutschen Stränden, nur noch mehr so. Eine Autobahn ist dagegen ein idyllischer Ort.

Stiller, verschwiegener und, ja, ursprünglicher geht es in der Lagunenlandschaft des Achterwassers zu, und am schönsten ist es in Lüttenort, dort wo die Taille Usedoms am schmalsten ist und sich Ostseeküste und Achterwasser ganz nahe kommen. Dort ließ sich 1933 ein Maler nieder, den die Kunstgeschichte gerne unter dem Rubrum „Verschollene Generation“ führt. Gemeint sind damit die Künstler, die kurz vor oder nach der vorletzten Jahrhundertwende geboren wurden, ihre ersten künstlerischen Gehversuche in den zwanziger Jahren unternahmen, von den Nazis verfemt wurden und nach dem Ende des Dritten Reichs keinen Anschluss an die – zumindest im Westen – alles beherrschende Abstraktion oder an den linientreuen sozialistischen Realismus der DDR fanden.

Poesie der Landschaft

Einer ihrer bedeutendsten Vertreter, so muss man das wohl sagen, war der 1896 in Kiel geborene Otto Niemeyer, der sich als Künstler Niemeyer-Holstein nannte. Der Sohn eines Professors für See- und Völkerrecht ging wie so viele seiner Generation als Freiwilliger in den ersten Weltkrieg, wurde verletzt und kurierte seine Wunden im schweizerischen Ascona aus. Dort fing er, wie er sagte, aus Langeweile an zu malen und er hatte das Glück, dass bereits etablierte Künstler wie Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin sein Talent erkannten und ihn förderten. Ein bisschen studieren in Berlin tat er auch, ging aber schon bald seinen eigenen Weg. Mit den Nazis und ihrer Blut-und-Boden-Kunst hatte er nichts am Hut und als eines seiner Bilder in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt wurde, wusste er, es war Zeit für ihn sich aus Berlin zu verabschieden und der Oberaufsicht der Nazi-Kunstwarte zu entziehen.

Der gewählte Zufluchtsort war die erwähnte schmale Stelle auf Usedom, die erste Behausung ein ausrangierter SS-Wagon. Zwei Häuser dockten später an das ungewöhnliche Heim an, das Atelier hieß „Tabu“. Den dürren Sandboden machte Niemeyer-Holstein in jahrelanger, mühsamer Kärrnerarbeit urbar. Er pflanze Bäume und Blumen, Bambus und tropische Gehölze und schuf sich und seiner Frau ein grünes Refugium, zu dessen Charme nach und nach auch Bildhauer-Künstlerfreunde wie Jo Jastram, Waldemar Grzimek oder Gustav Seitz beitrugen.

Vor allem aber malte er, malte unermüdlich. In der DDR war er für junge Künstler, die ihn gerne  besuchten, so etwas wie ein Geheimtip. Um die offizielle Kunstdoktrin scherte er sich in der DDR ebenso wenig wie einst um den geistigen Dünnschiss der Nazis. Das  passte den Kunstaufpassern natürlich nicht, aber im Großen und Ganzen ließ man ihn zufrieden. Schließlich verschaffte er als Präsident der seit den fünfzig er Jahren veranstalteten Ostseebiennale, an der Künstler auch aus kapitalistischen Ländern wie Dänemark, Schweden oder Finnland teilnahmen, der jungen DDR das ersehnte Prestige. Sogar der gefürchtete Chefpropagandist der DDR Karl-Eduard von Schnitzler ließ manchmal fünfe grade sein und sich in Lüttenort – den Namen gab Otto Niemeyer-Holstein seiner Behausung nach seinem Segelboot, dem „Lütte(n)“ – sehen. Einmal soll er dabei auf Wolf Biermann getroffen sein. Man wüsste gerne, was sich „Sudel-Ede“ vom „Schwarzen Kanal“ und der von der Partei geschurigelte Barde zu sagen hatten. Vermutlich nichts, denn der im Alter immer knorriger werdende Otto Niemeyer-Holstein hätte sicher keinen Streit in seinem Haus geduldet.

So viel zur Person Niemeyer-Holstein. Und was ist, wird man vermutlich fragen, nun mit seiner Kunst? Die Kritik versucht sie unter dem Begriff „Expressiver Realismus“ zu fassen. Auch von spätimpressionistischer Malerei ist die Rede. Das ist sicher nicht ganz falsch, aber ganz richtig ist es auch nicht.  Cézanne mag man denken, Corot vielleicht, auch: Neue Sachlichkeit. Alles nicht ganz falsch, aber richtig erst rechtnicht, denn treffen tun solche Zuschreibungen mitnichten. Die Bilder in Niemeyer-Holsteins Haus und dem vor wenigen Jahren errichteten modernen Galeriegebäude zeigen vor allem eines: Hier ist ein Künstler mit ganz unverwechselbar eigener Handschrift am Werk, einer der, wie er selbst sagt, vorgefundene Wirklichkeit in Poesie übersetzt. Und diese Poesie muss man sich anschauen, solche Katachrese sei erlaubt. Im „Museum Atelier Niemeyer Holstein“ in Lüttenort bei Koserow auf der Insel Usedom.

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