Feuerwerk und Frühlingsgefühle: Puccinis „Turandot“ als Open Air-Spektakel auf dem Kieler Rathausplatz

Von Christoph Munk

Kiel. Ach, und am Ende das Feuerwerk! „Schön war’s und kracht hat’s“, hätte jetzt Karl Valentin gesagt. Und er hätte vielleicht bedauert, dass so die Musik plötzlich aus dem Kopf geknallt wird, sich die Akteure mitten im Schlussapplaus von Zisch und Bumm und Lichtfontänen die Show stehlen ließen. Allerdings: So war’s doch ein pfundiges Spektakel: Giacomo Puccinis „Turandot“ als große Open Air-Oper auf dem Kieler Rathausplatz, bei der Premiere mit günstiger Witterung gesegnet und mit freudigem Jubel gefeiert. Der Missmut des Teams um Daniel Karasek über den nicht voll befriedigenden Kartenverkauf dürfte an diesem Abend unter den Leuchtraketen verpufft sein.

Einsamer Prinz vor dem Kaiser und unter dem schimmernden Mondauge: Dario Prola als Prinz Calef. (Fotos: Olaf Struck)

Es blieben ja auch kaum Wünsche offen zwischen den steil aufragenden Tribünen und den weiß imposanten, schroffen Monumentalbauten, die Bühnenarchitekt Norbert Ziermann vor die Fassade des Opernhauses gewuchtet hatte: an den Seiten rostrote Tore, in der Mitte Portale, Treppen, Podeste, Zinnen, gekrönt von einem blau schimmernden Mondauge. Insgesamt eine Spielfläche von weiten Dimensionen, ein Aufmarschgelände für Volksversammlungen und für die Machtdemonstrationen der kaiserlichen Herrscher. Offensichtlich kommt es Regisseur Daniel Karasek, dem Bühnenbildner und der Kostümbildnerin Claudia Spielmann wenig darauf an, mit der Fantastik chinesisch nachempfundener Folklore aufzutrumpfen: schmückende prunkende Gewänder kleiden nur die Führungsriege, schlichte Einheitskleidung müssen Gefolge und Untertanen genügen.

Kontraste charakterisieren auch die klangliche Ausgestaltung durch Generalmusikdirektor Georg Fritzsch. Mit dem aufmerksamen Philharmonischen Orchester, dem stets präsenten Opern- und Extrachor (Einstudierung: Lam Tran Dinh) sowie wie dem flexiblen Kinder- und Jugendchor (Leitung: Moritz Caffier) stehen ihm hoch motivierte Ensembles zur Verfügung, mit denen er fein differenziert musiziert und so Puccinis an fernöstlicher Exotik orientierte Nuancen transparent macht: kraftvoll ausholend in den raumgreifenden Chorpassagen und sensibel den Sologesang begleitend.

Es geht um Liebe oder Tod. Ballettchef Yaroslav Ivanenko gibt den Gegensätzen mit zwei Tanzfiguren (Marina Kadyrkulova und Alexey Irmatov) symbolische Gestalt. Doch Daniel Karaseks Inszenierung gewinnt dadurch kaum Deutungsklarheit. Weder entfaltet er – aus literarischen Quellen schöpfend – eine betörende Märchenstimmung, noch wagt er sich an eine politisch entschiedene Ausdeutung der Machtverhältnisse. Lieber von allem etwas. Bleibt die Zeichnung der Nebenfiguren, vor allem des Kaisers (Martin Leipoldt) und des entthronten Tartarenkönigs Timor (Matteo Maria Ferretii) klischeehaft, verlockt er die drei Minister Ping (Sihao Hu), Pang (Michael Müller) und Pong (Fred Hoffmann) immerhin zum ausgelassenen und präzis gesungenen Komödienspiel. Vor allem aber legt die wunderbar weich und fließend singende Agnieszka Hauzer tief empfundene Emotionen der Liù frei.

Drei Rätselfragen zwischen Liebe und Tod: Kirsi Tiihonen als Turandot und Dario Prola als Prinz.

Solche Temperaturen des Gefühls entwickeln sich beim dramatisch verknüpften Liebespaar der Oper erst allmählich. Dario Prola stattet den Calaf mit einem fülligen und geschmeidigen Tenorglanz aus, agiert jedoch etwas unentschieden, wie unbeteiligt an der glühenden Leidenschaft des Prinzen. Kirsi Tiihonen, begabt mit einem sicheren, strahlenden, auch in den Spitzentönen nicht scharfen Sopran, zieht sich lange in die statuarische Haltung der uneinnehmbaren Prinzessin zurück – bis die Regie Turandot Momente der Nähe gönnt: Während sie das dritte Rätsel stellt, umkreist sie den Prinzen und berührt ihn, als wolle sie ihn inspirieren, als sehne sie sich nach dem Mann, der sie vom Eise befreit und sie vom Zauber, in den sie gebannt ist, endlich erlöst. Das wäre ein schöner Gedanke, der innigste und Puccinis Absichten nahe. Bevor sich die Aufführung wieder den erwarteten Effekten einer Open-Air Show widmet. Feuerwerk muss sein.

Info und Termine: www.theater-kiel.de