Zur Baupolitik in Kiel

Von Helmut Schulzeck

Kiel. Wenn man solche Äußerungen liest, könnte man glatt glauben, man befindet sich im Kommunalwahlkampf oder in einem offiziellen Imagefilm der Stadt Kiel. Mit „Mir leuchten überall die Augen, wenn ich durch die Stadt fahre“, wurde Kiels neue Baudezernentin Doris Grondke in den Kieler Nachrichten (Print-Ausgabe und Epaper, 3. August 2017, Seite 23) zitiert, und Oberbürgermeister Ulf Kämpfer verweist in dem Zusammenhang auf etwa 600 neue Wohnungen, die im letzten Jahr fertig gestellt wurden. Frau Grondke spricht vom „Augenleuchten“, weil sie überall noch Flächen, Baulücken und aufstockbare Gebäude entdeckt, auf denen sie glaubt, bis zu 5.000 Einheiten für neue Wohnungen binnen relativ weniger Jahre realisieren zu können. Jetzt also „leuchtende“ Augen?

Nun, „Augenprobleme“ gehören ja bekanntlich schon lange zu den chronischen „Handicaps“ der Kieler Verwaltung und ihrer Spitze. Sonst gäbe es nicht so viele – nennen wir es mal milde – „optische Irritationen“ im Fördestadtbild, denen immer wieder mit dem Argument von Kiels einmaliger Lage begegnet wird. So als ob man mit dem Hinweis auf dieses topografische Gottesgeschenk jegliche städtebaulichen Sünden und architektonischen Irrtümer, an denen Kiel ja so reich ist, ein für alle Mal beschwichtigen und mit dem Mantel der Heimatliebe zudecken könnte, wobei der gute Wille niemandem abgesprochen werden soll.

Doris Grondke und Ulf Kämpfer reagieren auf den öffentlichen Druck, der in punkto Wohnungsknappheit nicht nur auf ihnen lastet. Und die Kieler Nachrichten bieten ihnen die Plattform, auf der sie ihre im Grunde genommen gar nicht so neue Erkenntnis groß aufgemacht auf fünf Spalten unters Volk bringen können, so als hätten sie zumindest für eine Teillösung des Problems das Patentrezept gefunden.

Immer seltener im Kieler Stadtbild: Begrünte Platzensembles wie hier in der Herzog-Friedrich-Straße. (Foto: Helmut Schulzeck)

Dem aufmerksamen Kieler schwant dabei allerdings nichts Gutes. Besonders, wenn er sich daran zurück erinnert, wie Kämpfer und die Stadtverwaltung in bezeichnender „Betriebsblindheit“, den maßlos überdimensionierten Komplex aus Stein und Beton am Kieler Schloss beförderten und lobten, bei dem jegliche Sensibilität für eine menschenfreundliche Stadtgestaltung den Renditeinteressen seiner Investoren geopfert und mit dem der Stadtraum gnadenlos einfach zugebaut wird. Muss man jetzt neue „Glanzleistungen des Baudezernats“ (so Kämpfer auf seiner Rede zum Richtfest des Schlossquartiers) befürchten?

Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es ja so schön. Doch drohen nun Kämpfer und Grondke, für einen von ihnen hoch angepriesenen „Wohnungsbauflächenatlas 2.0“ und mit ihrem beispiellosen Eifer jegliche Baulücken, grünen Hinterhöfe, kleinere Grünflächen und bebauungsfreien Zonen einem „kritischen“, eindimensionalen Blick zu unterwerfen, der in ihnen erstrangig nur noch den potentiellen Baugrund im doppelten Sinne des Wortes sieht?

Werden auch immer seltener: Begrünte Hinterhöfe. (Foto: Helmut Schulzeck)

Bei aller Einsicht in scheinbar unabdingbare Notwendigkeiten sollte man jedoch nicht den Durchblick für eine lebenswerte, urbane Umgebung verlieren, für deren Bestand sich Zupflasterungen wie manche der innerstädtischen in Kiel eigentlich verbieten sollten. Wer will schon in Steinwüsten wohnen? Mit einer kurzsichtigen städtischen Verengung ist auf Dauer niemandem geholfen. Wer glaubt, in beengten Stadträumen leben zu können, sollte vielleicht einmal z.B. Hongkong besuchen.

Ja ich weiß, Kiel ist Provinz- und nicht Großstadt. Was wir hier aber neben neuen Wohnungen trotzdem genauso brauchen, sind Erhalt und Schaffung von grünen Hinterhöfen, Plätzen zum Verweilen, kleinen und größeren Grünflächen, die die Stadtlandschaft durchlichten und Platz zum „Durchblick“ bieten, der Ulf Kämpfer und der Stadt Kiel letztlich bei aller Eilfertigkeit nicht verloren gehen möge. Die Versicherung von Baudezernentin Doris Grondke, „man müsse die Nachbarn mitnehmen“, lässt jedenfalls hoffen, wenn es sich hier nicht mal wieder um eines der üblichen Lippenbekenntnisse handelt.