Tilmann Ziemke inszeniert Vaclav Havels „Protest“ am Polnischen Theater
Von Hannes Hansen
Kiel. „Das Stück scheint veraltet“, sagt Tilman Ziemke. „Aber leider ist dem nicht so.“ Und deshalb beginnt seine Inszenierung von Vaclav Havels 1978 entstandenem Zwei-Personen-Stück „Protest“ am Polnischen Theater mit einem Videolaufband, das die politische Situation in der Tschechoslowakei jener Jahre erläutert. Ein ähnliches Laufband schlägt am Schluss die Brücke zur heutigen Türkei und endet mit der bangen Frage „Und Deutschland???“
In der kommunistischen Tschechoslowakei blieben dem Stück die Bühnen des Landes versperrt, und so wurde „Protest“ 1979 am Wiener Akademietheater uraufgeführt. Für seine Unbotmäßigkeit kassierte Vaclav Havel, der Mitbegründer der Bürgerrechtsbewegung „Charta 77“ und spätere erste Präsident seines Landes nach der „samtenen Revolution“ von 1989, viereinhalb Jahre Gefängnis.
In „Protest“ stehen sich in einem Gespräch zwei Personen gegenüber, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Schriftsteller Jan Stanek (Martin Friederichs) ist ein moralisch geschmeidiger Intellektueller und wortgewaltiger Maulheld, der seine Privilegien bewahren will, gleichwohl aber an seiner eigenen Mutlosigkeit und Angepasstheit leidet. Der Dissident Ferdinand Vanek (Astrit Geci) ist dagegen eher schüchtern, etwas naiv und unbeholfen. Sein moralischer Kompass freilich gibt ihm bei allen Zweifeln, allen Angstanfällen die Richtung seines Handelns vor.
Dieser Vanek glaubt zunächst, in Jan Stanek einen Verbündeten für eine Petition zu finden, in der es um die Freilassung eines Liedermachers geht, der auch der Geliebte seiner von diesem schwangeren Tochter ist. Ein fataler Irrtum, denn Jan Stanek denkt nicht daran, diese Petition zu unterschreiben und damit seine Privilegien aufs Spiel zu setzen. Und so redet und redet und redet er und überfällt den meist schweigenden Ferdinand Vanek mit immer neuen Beteuerungen seiner grundsätzlichen Bereitschaft, selbstverständlich bei der guten Sache dabei zu sein. Aber wäre es, argumentiert er, nicht besser, wenn er gerade nicht seinen Namen unter die Petition setzte, sondern sie von außen – „Ich habe da so meine Verbindungen“ – unterstützte. Immer tiefer verstrickt er sich in seine Lebenslüge, an die er am Ende, so scheint es, selbst glaubt. Er quatscht sich um Kopf und Kragen, ein Prozess, dem Ferdinand Vanek nur staunend zusehen kann.
Das Zwei-Personen-Stück hat nichts von der brachialen Zerstörungswut eines Dramas wie „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, es ist ein eher leises Kammerspiel. Seine Dramatik ist ins Innere der Personen verlagert, in ihre Sprache. Es gibt keine großen Aktionen, keine fulminanten Wutausbrüche, und so muss Regisseur Tilmann Ziemke – zugleich sein eigener Bühnenbildner – mit zurückhaltenden Mitteln Zeichen setzen für die psychische Anspannung, unter der seine Figuren leiden. Und das gelingt ihm auf beeindruckende Weise. Der Raum, in dem die Unterhaltung der beiden Akteure stattfindet, ist eine geschlossene Kapsel mit leblos kalten weißen Wänden und immer geschlossenen, ebenfalls weißen Vorhängen. Schwarze Designermöbel von Le Corbusier, französischer Cognac und ausländische Zigaretten zeugen von Wohlstand und Privilegien. Piefige Pantoffeln für den Gast sind ebenso ein unfreiwilliges Zeugnis für kleinbürgerliche Spießigkeit wie ein Bonsai-Baum, an dem Jan Stanek herumzwickt.; eine Übersprungshandlung, die sein Dilemma offenbart. Dieser Baum ist das einzige Lebenszeichen in dieser Burg, eine bildliche Metapher für das gefrorene Innenleben Jan Staneks und seiner Abwehrmechanismen.
In dieser Festung tigert Martin Friederichs’ Stanek ruhelos auf und ab, späht zwanghaft argwöhnisch wieder und wieder durch einen Spalt zwischen den Vorhängen in ein Draußen, das er aus seinem Leben ausgeschlossen hat. Er erfindet immer neue Ausreden, umarmt einmal den jüngeren Kollegen, tadelt ihn dann wieder, gibt sich je nach Bedarf überlegen, väterlich, verständnisvoll oder beleidigt, gekränkt und missverstanden. Astrit Geci als Vanek hat dabei den schwierigeren Part. Meist zum Zuhören verurteilt, drückt er seine Unfähigkeit, die moralische Selbstvernichtung seines Gegenüber zu verstehen, durch ruhige, leise, oft hilflos stammelnde Worte aus. Seine Körperhaltung und eine verhaltene Gestik zeigen sein Unbehagen, seinen Wunsch, dem Morast, in den er unwillentlich geraten ist, zu entkommen.
Infos & Termine: www.polnisches-theater-kiel.de
18. September 2017 um 8:47
Wer die Gelegenheit hat, unbedingt anschauen!