Wie Versprochen: Hier ein zweiter Blick auf Christopher Eckers  Erzählband „Andere Häfen“

Von Kai U. Jürgens

Kiel. Der Roman „Fahlmann“ (2012) hat 1.000 Seiten, und Der Bahnhof von Plön“ (2016) bringt es immerhin auf deren 400. Nun legt der in Kiel lebende Schriftsteller Christopher Ecker mit Andere Häfen“ einen Kurzprosaband vor, der 87 zum Teil sehr kurze Geschichten enthält. Die Publikumsreaktion im fast ausverkauften Literaturhaus bestätigte erwartungsgemäß, dass sich Ecker auch auf die knappe literarische Form versteht.

Foto: Wissenbach

Andere Häfen“ (Mitteldeutscher Verlag) lässt sich als Spaziergang durch die unterschiedlichsten Szenarien begreifen. Es gibt böse Geschichten wie Auf glühenden Kohlen“, in der ein Junge versucht, seinen in einer Höhle feststeckenden Klassenkameraden zu befreien und dabei an familiären Strukturen und Tantchens Erdbeerkuchen scheitert: „Aber es war ja auch Sommer, und die Erdbeeren waren frisch aus ihrem Garten.“ Ausführlich huldigt Ecker seiner Vorliebe für groteske bis phantastische Handlungen; beispielsweise, wenn sich eine Familie bei der Heimkehr damit konfrontiert sieht, dass ihre Wohnung durch eine teigartige Substanz aufgefüllt wurde, durch die man sich nur mit Mühe bewegen kann. Allerdings fördert der Vater bei einem ersten Vorstoß nur Belanglosigkeiten wie „Mutters Lesebrille“ zu Tage. In Letzte Durchsage“ berichtet der Erzähler von einer Romantrilogie, in der eine Menschengruppe durch einen endlosen Supermarkt zieht, was zu seltsamen Ereignissen führt. „Ärgerlicherweise“, heißt es, wird der zweite Band aus der Perspektive eines Einkaufswagen erzählt: „Diesen Teil kann man getrost überblättern.“

Am eindringlichsten ist Ecker aber wie immer bei der Schilderung von Identitätsproblemen. In Pregasina 1974“, eine der drei längeren Geschichten des Bandes, führt ein Polaroidfoto, das beim Ausräumen der elterlichen Wohnung gefunden wurde, zu einer Suche, die nicht nur die Hauptfigur entgrenzt, sondern auch das Regelwerk des Erzählens. Das Rätsel wird nicht gelöst. Geht es hier um „die höhnische Bloßlegung“ unseres Unvermögens, „die Welt zu verstehen, und Geschichten sowieso“?

„Mich reizt es, das Schreiben zu thematisieren“, erläutert Christopher Ecker (Jg. 1967) und verweist auf seinen ersten Kurzprosaband Der Hafen von Herakleion“ (2006): „Während dieses Buch klassisches Erzählen demonstriert, wird in Andere Häfen“ der Schreibprozess selbst zum Thema der Geschichte.“ Dies würde zur Etablierung übergeordneter Erzählebenen führen, in denen die Leser bisweilen direkt angesprochen werden: „Seid Ihr noch bei mir?“ (Die Überkopf-Welt“). An dem neuen Buch hat Ecker gut zehn Jahre gearbeitet, wobei ihm rasch aufging, wie sehr die Geschichten miteinander kommunizieren: „Es gibt Motive, Räume, sogar Formulierungen, die sich durch den Band ziehen.“ Die Kürze war dabei eine Herausforderung, „weil diese Kargheit und Begrenztheit etwas ist, was ich in meinen anderen Büchern nicht gemacht habe“. Für ihn ging es darum, mittels eines fortwährenden Kondensationsprozesses „zur Keimzelle des Erzählens vorzustoßen“. Dabei kommen auch Figuren zu Wort, die über fragwürdige moralische Ansichten verfügen: „Für mich ist es wichtig beim Schreiben, dass Sachen passieren, die man nicht versteht, und dass man über Personen und Dinge schreibt, die man verabscheut.“ Dies sei in der kurzen Form auch weit einfacher als bei einem Roman wie Madonna“ (2007), auf dessen Prämissen er sich nicht noch einmal einlassen würde.

Ansonsten freute sich Ecker, ein weiteres seiner Bücher im Literaturhaus präsentieren zu können – „das ist wie eine Homebase, ich bin immer gerne hier“. Das klingt gut, denn für 2018 ist ein neuer Lyrikband in Vorbereitung.

Christopher Ecker, „Andere Häfen“, 236 S., gebunden, 16,95 Euro. Vom 2. bis 15. Oktober ist Christopher Ecker mit einer Erzählung aus „Andere Häfen“ am Literaturtelefon Kiel zu hören: Tel.: 0431/901-8888, www.literaturtelefon-online.de.