Mit Tempo und Temperament: „Fame – das Musical“  zur Saisoneröffnung des Kieler Musiktheaters

Von Christoph Munk

Kiel. Jubeln, Johlen, Jauchzen – gemessen am Schlussapplaus erlebte das Kieler Musiktheater am Freitag eine außerordentlich erfolgreiche Saisoneröffnung. Im Taumel des kreischend gefeierten Events zeigte sich diesmal statt Opern-Glanz eine aufgekratzte, routiniert abgespulte Hymne an Begabung, Ehrgeiz und Streben nach Glamour: „Fame – das Musical“ – flüssig in Szene gesetzt von Ricarda Regina Ludigkeit, musikalisch energisch angetrieben von Moritz Caffier und ausgeführt von einer gut gelaunten Sänger-Tänzer-Truppe.

Auf dem Weg zum Ruhm: Carmen Diaz (Salka Weber, oben) im Mittelpunkt des Ensembles. (Foto: Olaf Struck)

Von den Theaterkünsten infiziert, strebt die Jugend auf den Weg zum Ruhm. Was treibt sie an die PA, die New Yorker High School of Performing Arts? Vielfältige, faszinierende Antworten gab 1980 „Fame“, Alan Parkers Tanzfilm. 2009 folgte ein Kino-Remake von Kevin Tancheroen, dazwischen entstand eine TV-Serie und 1988 das Musical: David De Silva produzierte, das Buch schrieb José Fernandez, Liedtexte Jacques Levy; neue Musik komponierte Steve Margoshes, doch der mit einem Oscar ausgezeichnete Titelsong von Dean Pitchford und Michael Gore blieb, ebenso die Geschichte in groben Zügen. Nur das Personal und seine Beziehungen verwandelte sich mit den Zeiten und Genres.

Im Film, in der Serie, im Musical – die Beweggründe der PA-Aspiranten ähneln sich. Nick beispielsweise will mit ernsthaftem Theaterspiel seine Zuschauer verzaubern. Iris möchte den Wunsch ihrer Eltern erfüllen. Hip-Hopper Tyrone tobt sich im Streetdance aus; der Musiker Shlomo träumt davon, mit Sängerin Carmen einen Hit herauszubringen. Sie und all die anderen Schüler des neuen Jahrgangs vertrauen auf ihr Talent, entfalten ihre Kreativität und sind doch zuerst der Disziplin ihrer strengen Lehrer unterworfen. Genug Konfliktstoff. Doch kleine Affären und große Liebschaften stiften noch mehr Unruhen und Verwirrungen.

Massenhaft Inhalt. Das gibt den Rhythmus vor: rasante Tänze und rasch pulsierende Choreografien, hoch emotionale, lyrische wie dramatische Songs, kurze Episoden, schnelle Szenenwechsel. Von Regisseurin Ricarda Regina Ludigkeit weiß man nach „Kiss me Kate“, „My Fair Lady“ und „Evita“: Sie kann Musical und wird das Geschehen fest in den Griff nehmen. Schließlich wuppte sie das Stück bereits in Gelsenkirchen und in Graz. Auch in Kiel animiert sie jetzt ihr hingebungsvolles Ensemble zu achtbaren tänzerischen und sängerischen Leistungen. Und Moritz Caffier hält seine Philharmoniker – denen sich dem Vernehmen nach im Keller eine (namenlose) Rock-Combo angeschlossen hatte – straff zusammen, entfacht hohe Lautstärken und tränkt den Sound mit (allzu) süffigem Orchesterklang.

Tanz, Spiel und Spaß: Ensembleszene in „Fame“. (Foto: Olaf Struck)

Lobenswerte Anstrengungen also an allen Ecken und Kanten: Kunterbunt winken die Kostüme von Gabriele Heimann und Franziska Isensee; vielfach schon bewährte sich das Bühnenbild von Hans Kudlich: Der clevere Mehrfachverwerter hat seine Konstruktion aus Treppen und Podien in Klagenfurt (2004), in Gelsenkirchen (2005), in Graz (2012) und nun auch in Kiel aufstellen lassen. Doch die verwinkelte Anlage verführt zu kurzatmigem Spiel. Übergangslos und schnell lassen sich die Szenen wechseln. Überall und in jedem Moment kann etwas geschehen, Episoden bleiben nur angerissen, nichts spitzt sich zu, wirklich dramatische Höhepunkte entfallen, das Geschehen ertrinkt in einem unruhig nervösen Fluss.

Klar doch: Tempo und Temperament ergeben eine betörende Mixtur. Allerdings von betäubender Wirkung, denn aus der Fülle der Effekte kristallisieren sich kaum intensive Eindrücke heraus. Wenn viele Geschichtchen gleichgewichtig aneinandergereiht werden, fehlt es an Schwerpunkten. Wo viele Sympathieträger agieren, setzen sich keine wirklichen Identifikationsfiguren durch. Das sind Schwachpunkte sowohl der musikalischen als auch der dramatischen Vorlage. Aber Ricarda Regina Ludigkeit unternimmt mit ihrer Regiearbeit nichts dagegen. Sie begnügt sich damit, für brillante Oberflächenreize gefeiert zu werden, statt die Tiefe des Themas herauszuarbeiten. Was ist Talent gegen Disziplin? Was ist Leidenschaft gegen Enttäuschung? Davon erzählen heutige TV-Casting-Shows mit Vorliebe. Darüber aber schweigt die Kieler „Fame“-Aufführung lautstark. Stattdessen tönt sie atemlos durch die Nacht.

Info und Termine: www.theater-kiel.de