Uraufführung des „Luther“-Stücks von Zaimoglu und Senkel im Kieler Schauspiel
Von Jörg Meyer
Kiel. Feridun Zaimoglu geht ein wenig die Muffe. „Ob sie uns wohl aus dem Haus jagen werden?“, mutmaßt er, vor dem ausverkauften Schauspielhaus zusammen mit Co-Autor Günter Senkel die letzte Zigarette vor der Uraufführung von „Luther“ rauchend. In solchem Zweifel sind die beiden einig mit ihrer Luther-Figur, die sie als verzweifelnden, wenn in seinen Ansichten über Obrigkeitshörigkeit und Hexenverfolgung nicht sogar als zweifelhaften Reformator zeichnen.
Dabei thront Luther (Zacharias Preen) doch schon in der Anfangsszene und auf dem Titelblatt des Programmhefts wie jene „Hier stehe ich und kann nicht anders“-Ikone als Denkmal an der um einen Steg verlängerten Rampe, hält Hamlet-gleich die Schädel seiner Widersacher in den Händen und liest ihnen wortmächtig die postumen Leviten. Allein, mit solcher zuweilen auch rabulistischer Beredtheit wird er später gegen – vermeintliche – Hexen predigen. Zunächst aber gilt es, die in seinem Wittenberger Heim einquartierten Schüler seiner Kollegen Philipp Melanchthon (Rudi Hindenburg) und Lucas Cranach (Immanuel Humm), Christoph (Jasper Diedrichsen) und Thomas (Martin Borkert), auf den Weg des reformierten Glaubens zu bringen; Thomas sogar mittels eines mit einigem Aplomb und Kotze auf den Theaterbrettern inszenierten Exorzismus.
Von Zweifel noch kein Spur, wäre da nicht diese ungewöhnliche Dürre, unter der die Wittenberger Bürger im Frühsommer 1540 leiden. Die Schuldige für diese „Klimakatastrophe“ ist bald gefunden: die angebliche „Wetterzauberin“ Prista Frühbottin (Yvonne Ruprecht). Um jenen historisch verbrieften Malefizprozess haben Zaimoglu und Senkel eine klassische Liebesgeschichte gesponnen: Christoph mag aus strenggläubiger Keuschheit den Ansinnen der „vor Geilheit zerspringenden“ Elsbeth (Olga von Luckwald), Pristas Nichte und daher bald selbst in Gefahr, nicht folgen. Darauf wirft sie sich Thomas an den Hals und muss am Ende mit ihm vor den Hexenhäschern fliehen.
Doku oder Lehrstück?
Regisseurin Annette Pullen gab im Interview den „Kieler Nachrichten“ zu Protokoll, dass sie mit ihrer Inszenierung keinen „folkloristischen Realismus à la Oberammergau“, keine „Detailversessenheit à la Fernsehspiel“ und keine „gewaltsame Transformation ins Hier und Heute“ wolle. Ein bisschen was von all dem ist es dennoch geworden. Folklore, wenn Marko Gebbert den von allen verachteten, aber gleichwohl im Dienste der Obrigkeit wirkenden Scharfrichter Magnus Fischer als polternden Post-Bauernkriegs-Revoluzzer und damit wohl die schillerndste Figur gibt. Fernsehspiel, wenn die Inszenierung stellenweise wie eine Degeto-Produktion über Luthers Schattenseiten anmutet, von Barbara Aigner liebevoll zeitgenössisch kostümiert. Und das sparsame, „kubistische“ Bühnenbild von Iris Kraft transformiert – im guten Sinne – das 16. Jahrhundert in heutige edelholzgetäfelte Entscheider-Etagen.
Insofern kein schlechtes Dokumentar-Theaterstück, aber in seinem Predigtton – vor allem Luthers – auch allzu lehrstückhaft, an Brecht zwar gemahnend, aber an ihn nicht ganz heranreichend.
Knalleffekte …
… gibt es dennoch, wo sonst im Berliner-Ensemble-Style (à la „Hamlet-Maschine“) „bloß“ geschrien und reichlich Theaterblut aus gefolterten Leibern gespuckt wird. Etwa wenn die Reformatoren-Crew und die Luther-Gattin (und auch Hexenwahn-Einflüsterin) Katharina von Bora (Jennifer Böhm) der Hexenverbrennung zuschauen, als säßen sie im Horror-Kino – hastiges Popcorn-Fressen inklusive. Oder am Ende, wenn … aber das wird nicht verraten.
Der Grundzweifel
Die historisierende Sprache, die Zaimoglu und Senkel für ihr „Luther“-Stück dem Damals abgelauscht und neuerfunden haben, trägt über manche dramaturgische Längen des bloßen Erzählens hinweg. Sie wirkt in all ihrer Ferne ungemein authentisch. So wird Luther, der das Wort als eigentliche Botschaft des Herrn verdolmetscht hat, gesprochen haben: Sensibel – manchmal geradezu „bauernschlau“ – für das Idiom des „Volkes“, dem er „aufs Maul schaute“. Und zugleich „wissenschaftlich“, wenn es um das Problem der Theodizee und damit um den Grundzweifel geht, der alle Figuren umtreibt. Warum macht der allmächtige und gütige Gott auch das Böse? Warum sind wir es, die seiner (unvollkommenen?) Schöpfung die Teufel austreiben müssen?

Cranach (Imanuel Humm, rechts) und sein Schüler Thomas (Martin Borkert) protokollieren die Hexenverbrennung als Künstler
So erscheint uns Luther, wenn er am Ende weise spricht „Wir sind dann allein schon gut, wenn wir den guten Gott und das böse Selbst anerkennen“, etwas weniger zweifelhaft. Er ist ein (Ver-) Zweifelnder, der mit der eigenen Erkenntnis hadert und selbst noch nicht so „aufgeklärt“ sein kann, wie er es predigt. Sind wir – gerade heute – nicht ganz genauso zweifelhaft Zweifelnde?
Und zur Beruhigung: die Autoren Zaimoglu und Senkel wurden nicht aus dem Schauspielhaus getrieben, eher anerkennend beklatscht. Und die wenigen „Buh“-Rufe dürfen sie sich wie einst Luther als Lob an die Soutane heften.
Info und Termine: www.theater-kiel.de
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