Henning Schöttke stellte im Literaturhaus seinen neuen Roman vor
Von Jörg Meyer
Kiel. „Ich hatte schon früh das Gefühl, anders zu sein als andere Mädchen.“ Mit diesem schlichten, aber doch schon das Wesentliche benennenden Satz der Ich-Erzählerin Bianca eröffnet Henning Schöttke seinen neuen Roman „Superbias Lied“ und auch die Lesung daraus im ausverkauften Literaturhaus.
Irgendwie „anders“ und doch zeittypisch für die Generation der in den 50er bis 60er Jahren Geborenen sind alle weiblichen Hauptfiguren in Schöttkes auf sieben Bände angelegter Roman-Heptalogie mit weniger religiösem als analog lebensweltlichem Bezug zu den Sieben Todsünden. Nach „Gulas Menü“ (Völlerei/Essen), „Acedias Traum“ (Faulheit/Schlaf) und „Luxurias Glück“ (Wollust/Liebe) liegt nun sozusagen das Meisterstück vor, denn in „Superbias Lied“ geht es um die Kunst selbst.
Wie kommt man – besser: „frau“ – zur Kunst? Bianca durch ihren drogensüchtigen Hippie-Vater Benny, der in den späten 70er Jahren mit seiner Tochter als Straßenmusiker durch halb Europa tourt. Er träumt davon, als Künstler entdeckt zu werden, doch das bleibt Bianca vorbehalten. Als „Super-Bianca“ macht sie mit ihrer Band Superbia in den 90ern große Karriere und erfüllt damit das Vermächtnis des Vaters. Doch woher sie kommt, dass die Mutter bei ihrer Geburt starb, Künstlerin wie schon ihre Oma Frieda, verfolgt Bianca bei allem Erfolg wie ein böser Traum. Die Kunst als segensreiche Begabung und zugleich Fluch? Da kommt die Todsünde wieder ins Spiel, die Kunst als „Hochmut, Eitelkeit und Stolz“, wie es Superbias Band – im doppelten Wortsinne selbstbewusst – vor den Auftritten skandiert.
Gerade diese Ambiguität der Kunst, dass man als Künstlerin auch immer ein wenig Gott sein möchte und sich damit versündigt, macht den Roman so spannend. Nicht nur in der Erzählung, die Schöttke wie in den drei Vorgänger-Romanen mit detailreichem Zeitkolorit anreichert, vor allem in der Symbolik etwa eines Zippo-Feuerzeugs, das an verschiedenen Stellen und Situationen im Roman mit dem typischen Klick aufflammt. Sowas, stets genau recherchiert, macht Schöttkes erzählerische Kunst aus, die sich damit über ihre auf den ersten Blick Konventionalität mit mikroskopisch fokussierten Feinstudien erhebt.
Der Hochmut der Kunst wird so zu ihrer Demut und entledigt sich ihrer „Sünde“. Nicht zuletzt durch Superbias Lied, das Schöttke, selbst heimlicher Liedermacher, ihr in den Mund legt. „Deine Spur wird verweh’n“ titelt es, meint die Vorfahren wie das eigene Sein sowie das aller Kunst und wird kongenial vertont und live vorgetragen von Eddy Monrow und seiner Band. Das Publikum fordert dafür – und auch die noch drei fehlenden „Todsünden“-Romane – begeistert Zugabe.
Henning Schöttke ist mit „Superbias Lied“ auch am Literaturtelefon Kiel unter 0431/9018888 und www.literaturtelefon-online.de zu hören.
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