Marthe Rosenow und Volker Tiemann werden vom Kunstraum B „B-fragt“
Von Hannes Hansen
Kiel. Organische Formen, die hier Menschen, dort Tiere erahnen lassen, Arbeiten, die zwischen Realität und Abstraktion changieren, das sind die mit dem Skalpell penibel heraus präparierten Scherenschnitte Marthe Rosenows. Kollege Volker Tiemanns „Universalmöbel“ sind von massiver Realität, aber durch und durch unpraktisch und Anlass für „achtersinniges“ Nachdenken. Arbeiten, die seit vergangenem Mittwoch im Rahmen und als Abschluss der Reihe „B-fragt“ im Kunstraum B in der Kieler Wilhelminenstraße unter dem Motto „Und was heißt hier illustrativ?“ gezeigt werden.
Eine Frage, die die an der Muthesius Hochschule ausgebildete und seit Jahren in Berlin lebende Konzeptkünstlerin Marthe Rosenow und der Kieler Bildhauer Volker Tiemann, an der Muthesius Hochschule ein Schüler von Jan Koblasa, auf verschiedene Weise zu beantworten scheinen.
Dass alles, was auch nur im Dunstkreis der Wörter „Illustration“, „illustrativ“ und ihrer semantischen Verwandten auftaucht, von wahren Künstlern für bäh bäh gehalten wird, schert beide wenig. Das ist aber auch die einzige Gemeinsamkeit.
Zwischen Jugendstil und Abstraktion
Marthe Rosenow, die ihren Lebensunterhalt vorwiegend als Designerin von Figuren für Computerspiele, von Spielkarten, Comic- und Fantasy-Figuren verdient, missachtet die Grenze zwischen angewandter und freier Kunst einfach. Zum einen dadurch, dass auch ihre für den Broterwerb geschaffenen Produkte hohe technische Qualität und künstlerischer Einfallsreichtum auszeichnen. Zum anderen dadurch, dass Arbeiten wie die in Kiel gezeigten mit ihren organischen Menschen- und Tierformen die Herkunft aus dem Jugendstil zwar erahnen lassen, ihn aber ohne Verlust von Sinnlichkeit in die Abstraktion weiter treiben. So übersetzen diese Arbeiten die schwüle, aggressive und vordergründige Erotik eines Aubrey Beardsley etwa souverän in ein Zeichensystem, das viele Deutungen offen lässt, ohne ihnen ihren rätselhaften Traumcharakter zu nehmen.
Das Spiel mit Begriffen
Einen ganz anderen Weg geht Volker Tiemann. Seine Objekte spielen mit Witz und Ironie mit unserer Wahrnehmung und drehen der Konzeptkunst eine Nase, indem sie bedeutungsschwere Begriffe listig geradezu umkrempeln oder auf ihren Doppelsinn befragen.
Man kann gar nicht anders als das „Große Stück mit blauer Schleife“ als Hommage an Eduard Mörikes Gedicht „Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte“ zu interpretieren. Das luftige blaue Band auf einem Turm aus vier altmodischen, durch und durch unpoetischen Küchenhockern scheint mit ihm davonfliegen zu wollen und verleiht der Phantasie des Betrachters Flügel.
Das tut der scheinbare Kalauer der aus einem einzigen Stück Holz bestehenden Arbeit „Leeres Blatt“ auf andere Weise, indem es zwei unterschiedliche Bedeutungen zusammen zwingt und so die Assoziationsräume „Holz, Baum, Blatt“ und „Papier, Schreiben, Blatt“ vereint. Und weil diese hölzerne Blatt leer ist, verweigert es eine eindeutige Antwort auf die im Titel der Ausstellung gestellte Frage nach seinem illustrativen Charakter. Wenn die Arbeit etwas illustriert, dann die Fähigkeit des Betrachters, mit Phantasie und Witz Zusammenhänge herzustellen, die vordergründig nicht erkennbar sind.
Kunstraum B, Wilhelminenstraße 35, „Was heißt hier illustrativ“, bis 25. November. Donnerstag bis Samstag, 15 – 18 Uhr.
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