Daniel Karasek inszeniert Shakespeares „Richard III.“ am Kieler Schauspielhaus
Von Hannes Hansen

Buckingham (Rudi Hindenburg), Richard III. (Marko Gebbert), Ratcliff (Werner Klockow), Bürgermeister (Imanuel Humm)
Kiel. Ein kahler, kalter Raum, in den fallweise Requisiten wie Sessel, ein Tisch, ein Sarg gestellt werden. Hohe, in unheilvollem Grau gehaltene, flatternde Vorhänge, die sich bei Bedarf öffnen und den Blick auf ein Baugerüst, eine höher gelegen Ebene als zweite Spielstätte freigeben, als hätte Lars Peter Shakespeares Globe-Theatre ins Kieler Schauspielhaus transferiert. Auf seiner Multifunktionsbühne für Daniel Karaseks Inszenierung von Shakespeares „Richard III.“ am Kieler Schauspielhaus schwingt sich behende eine bucklige, verkrüppelte Gestalt, der Herzog Richard von Gloucester, der gleich bei seinem ersten Auftritt, dem großen Anfangsmonolog, klarstellt, worum es ihm geht: um die Macht. Sie ist sein Aphrodisiakum, das ihn mit animalischer Lust zu seinen Schandtaten treibt. Und so wird er sich mit Verleumdung, Hinterlist und Gewalt nach oben auf den Königsthron morden und auf dem Weg dahin alle Nebenbuhler und Widersacher beseitigen. Er wird hoch aufsteigen und tief fallen.
Dieser Richard, den Marko Gebbert zunächst als geschmeidigen, trotz seiner Missgestalt eleganten Zyniker gibt, weiß, dass er böse ist, ein Schurke, der vor keiner Gewalttat zurückscheut. Wenn man schon den hässlichen Krüppel nicht liebt, dann soll man ihn fürchten und ihm zu Willen sein. Seine Beredsamkeit, sein böser Charme, selbst seine Na-wenn-schon-Flapsigkeit ebnen ihm ebenso den Weg zur Macht wie seine Skrupellosigkeit, über die er sich keinen Illusionen hingibt.
So verfällt Lady Anne nach kurzem, wütendem Aufbegehren seiner Verführungskunst und ist bereit, den Mörder ihres Mannes Prinz Edward und Schwiegervaters, Königs Heinrich VI., zu heiraten. In Agnes Richters Rollengestaltung bleibt sie eine enigmatische Figur, die blitzschnell und beinahe übergangslos aus einer kreischenden Furie ein vor Geilheit zitterndes Weib wird. Am Ende, von Richard verbannt, endet sie als Schnapsdrossel. Aus Reue oder Verzweiflung? Man weiß es nicht. Die Regie erklärt das ebenso wenig wie Shakespeares Text. Gott sei Dank, Psychologie hätte gerade noch gefehlt und fehlt wohl auch manchem Zuschauer. Mir fehlt sie nicht, selbst denken ist angesagt, und gerade das Rätselhafte drängt dazu. Die Seelen der Figuren Shakespeares und mit ihm der Regie lassen sich nun einmal nicht bis in den letzten Winkel ausleuchten, und so bleiben sie uns bei aller Zeitgenossenschaft ein Stück weit fremd. Die Razfatz-Inszenierung lässt den Zuschauer weniger im Stich, als dass sie ihm Fragen stellt.
Zwischen Jargon und Poesie
Ratzfatz geht auch Daniel Karaseks und Kerstin Daibers Übersetzung mit dem Stück um. Einerseits präsentiert sie eine radikal moderne, einem reichlich schnodderigen Jargon angenäherte Sprache. Da „pfeift ein Aussehen auf dem letzten Loch“ und fordert ein „Auftragskiller“ wie der aus dem bekannten Kaurismäki-Film einen Kollegen auf: „Du haust ihm mit dem Messer über die Rübe.“ Da sind Leute „cool“ oder „nerven“. Im Kontrast dazu steht die großen Teils ins Heute herübergerettete Poesie und Bildhaftigkeit der Sprache Shakespeares, die immer wieder und gerade in hochdramatischen Momenten ihre Altertümlichkeit bewahrt, und der weitgehend erhaltene Shakespearesche Blankvers. Die Reibung der beiden Sprachstile trägt dazu bei, dass wir verstehen: Die Figuren sind unsere Zeitgenossen – Machtbesessene und ihre Mitläufer und Opfer gab es nicht nur zu Shakespeares Zeiten – und zugleich sehr fern.
Leichen pflastern seinen Weg
Auf dem Weg nach oben fallen Richard, sein jüngerer Bruder George (Zacharias Preen, der auch den als von Ausschweifungen zerfaserten Tattergreis König Edward IV, seinen älteren Bruder, gibt) und die beiden unmündigen Kinder Edwards durch gedungene Mörder zum Opfer, der Thronfolger (lieblich Jennifer Böhm) und der Herzog von York (Olga von Luckwald als kreischende Nervensäge). Dazu noch der aufrechte Lord Hastings (Imanuel Humm) und jede Menge Chargen. Am Ende muss auch Richards williger Handlanger, der Herzog von Buckingham (Rudi Hindenburg), daran glauben. Zunächst serviler und treuer Befehlsempfänger, scheut er davor zurück, den befohlenen Mord an den Königskindern zu begehen. Er bekommt gewissermaßen Muffensausen.
Endgültig zum Bruch mit dem mittlerweile zum König Richard III. gekrönten Gloucester kommt es erst, als dieser nicht daran denkt, Buckingham die für seine Mittäterschaft an den schändlichen Verbrechen versprochene Belohnung zuzugestehen. Skrupel sehen anders aus und sollen auch anders aussehen. Die ganze Aristokratenbande taugt mit wenigen Ausnahmen eh nichts und der Bürgermeister von London (Imanuel Humm), ein liebedienerischer Fettkloß, auch nicht.
Aber dann ist nach über zweieinhalb Stunden Schluss. Doch nicht mit lustig, denn grauslich lustig, wie beim Grand Guignol, dem blutigen Kasperletheater Frankreichs, wird es erst am Ende. Einem Ende zwischen Apokalypse und greller Horrorshow. Richard, von Reue und Ängsten gepeinigt, mutiert endgültig zum wilden Tier und labert, geifert und wütet sich, bunt bemalt wie ein Indianer auf dem Kriegspfad, dem unvermeidlichen tödlichen Finale auf dem Schlachtfeld entgegen.
In dem Vielpersonenstück – insgesamt sind trotz energischer Striche siebenundzwanzig Rollen zum Teil in Mehrfachbesetzung (Zacharias Preen, Jennifer Böhm, Olga von Luckwald, Christian Kämpfer; Jasper Diedrichsen, Imanuel Humm, Werner Klockow) zu besetzen. Yvonne Ruprecht ist dabei eine mühsam um ihre Fassung ringende Königin Elisabeth und Christian Kämpfer als Witwe des Altkönigs Heinrich VI ein Zerrbild einer altgriechischen Nemesis.
Dröhnende Musik von Renaissance bis House (von Marko Gebbert, Daniel Karasek, Zacharias Preen) und eine zunehmend flackernde Lichtgestaltung (Joachim Mohr) unterstützen die allmähliche Verwandlung Richards vom redegewandten Schurken zum geifernden Untier, und die Inszenierung macht aus einem scheinbar gut abgehangenen Stück ein grelles Spektakel. So grell wie wohl von Shakespeare gedacht, dessen Sprache sich auch des Jargons seiner Zeit bedient. Zoten, Anzüglichkeiten, Vulgarismen haben da durchaus ihren Platz.
Muss man Shakespeare also so spielen? Nein, muss man nicht, kann man aber. Langweilig jedenfalls ist die Kieler Inszenierung nicht.
Info und Termine: www.theater-kiel.de
18. November 2017 um 23:26
Herr Hansen,
mal wieder Ihr Lieblingswort „Kaperletheater“. Ein Frühzeittrauma?
Hm. Fehlt mir doch der Vergleich zur Schaubühneninszenierung. Gibt es da nicht frappierende Ähnlichkeiten?