Das chiffren-Ensemble gab in der Halle 400 sein Abschiedskonzert
Von Jörg Meyer
Kiel. „Quatre chants pour franchir le seuil – Vier Gesänge die Schwelle zu überschreiten“ betitelte Gérard Grisey 1998 sein „Requiem“, dessen Uraufführung der Messiaen-Schüler selbst nicht mehr erlebte. Fast 20 Jahre später ist das beeindruckende Werk nun auch für das Kieler Neue-Musik-Projekt chiffren eine Art Abgesang.

Auch optisch ein Erlebnis: das chiffren-Ensemble bei seinem Abschiedskonzert in der Halle 400. (Foto: ögyr)
In der sehr gut besuchten Halle 400 verabschieden sich 16 ehemalige Mitglieder des 2009 gegründeten und mehrfach preisgekrönten chiffren-Ensembles unter der Leitung von Johannes Harneit mit Aplomb von der Bühne. Zunächst mit dem „Trio VI“ für Klarinette (Jade Lehmann), Cello (Veronika Graßl) und Harfe (Swantje Wittenhagen), das Dieter Mack 2016 eigens für die drei chiffren-Preisträgerinnen komponierte. Klarinette und Cello kreisen dabei in mikrotonalen Skalen umeinander; eine zerbrechliche Klangsphäre, in der Töne sterben und zugleich beschwörend wiedergeboren werden.
Um Tod (des Engels, der Zivilisation, der Stimme und der Menschheit) und Wiedergeburt geht es auch in Griseys „Vier Gesängen“, denen die Sopranistin Julia Spaeth in monotonem Klagegesang bis hin zu tragischer Exaltation Stimme gibt. Auch das Ensemble geht bis an die Grenzen, dynamisch zwischen leisestem Rauschen an Anfang und Ende, vom Ambitus her zwischen schrillsten Bläser-Flageoletts und abgrundtiefen Perkussionsschlägen. Schließlich wird in den Versen aus dem Gilgamesch-Epos die Sintflut beschrieben, eine finale Katastrophe mit dennoch kathartischer Wirkung. Der Abschied ist somit auch ein Aufbruch. Nach ergriffenem Schweigen branden am Ende Applaus und Bravos, die nicht zuletzt dem Projekt chiffren und seinem Miterfinder Friedrich Wedell gelten.
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