Heiko Fischer mit seinem neuen Album „General Relativity“ im KulturForum
Von Jörg Meyer
Kiel. Alles hängt zwar immer mit allem zusammen und ist relativ, aber was sagt uns Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie über die Relation zwischen exakt definierter Struktur und nicht determinierter Improvisation? Heiko Fischer, studierter Physiker und Echo-Jazz-Preisträger 2011, sucht auf seinem neuen Album „General Relativity“, das er am Sonnabend zusammen mit Martin Terens (Piano), Giorgi Kiknadze (Bass) und Konrad Ullrich (Schlagzeug, Elektronik) im KulturForum vorstellte, nach Antworten.
Besser gesagt, er „hinterfragt das scheinbar Selbstverständliche“ wie einst Einstein, als er die Physik revolutionierte. Angeregt durch ein Online-Seminar über die Relativitätstheorie, so berichtet Fischer, wollte er erforschen, was geschieht, wenn man streng programmierte Elektrorhythmen mit dem Improvisatorischen des Jazz verbindet. Im das Konzert eröffnenden „Geometry“ werden die geometrischen Grundparameter definiert – und gleich wieder „relativiert“, wenn Fischer durch deren starres Gitternetz ein lyrisch-balladeskes Gitarren-Motiv webt. Die „Consequence“ folgt auf dem Fuße eines Off-Beats, der an Reggae erinnert. In „Deflection“ bilden abgehackte Sprach-Samples das Grundgerüst für Fischers Gitarrenspiel, das die mechanischen Loops gefühlvoll aufbricht.
Auch am Jazz-Standard „You Don’t Know What Love Is“ prüft Fischer seine musikalische Relativitätstheorie. Die Lyrics kommen von einer Computerstimme, die trotz aller Technik seltsam organisch wirkt. Eine Art „Verfremdungseffekt“, der das analoge Original im Raum des Digitalen umso deutlicher aufscheinen lässt. In „History“, einer Zeitreise zurück zu Prokofjews zweitem Klavierkonzert, und den „Ereignishorizonten“ von „Horizons“ widmen sich Fischer und sein Trio der vierten Dimension im Raum-Zeit-Kontinuum, der Zeit. Sie ist vielleicht die wichtigste für die Musik, kann man sich doch in ihr, anders als im Raum nur in eine Richtung bewegen, nämlich vorwärts. Genauer, man wird von ihr bewegt, was sich in den sich verdichtenden Klangräumen von Fischers Kompositionen spiegelt. Eine stete Zunahme der Komplexität, die den Hörer so schwindelig macht wie beim abschließenden Parforce-Ritt in die „Singularities“ eines Schwarzen Lochs.
Auch wenn solchem nur ein recht übersichtliches Publikum im KulturForum folgen mag, ist der Beifall begeistert, das Experiment geglückt und eine neue musikalische Relativitätstheorie treffend formuliert.
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