„Arabella“: Lyrische Komödie von Richard Strauss im Kieler Opernhaus
Von Christoph Munk
Kiel. „Nein, wir können nicht mehr warten!“ Mutter Adelaide bringt es auf den Punkt: „Es gibt nur eine Hoffnung: „die bald’ge Vermählung unserer Arabella!“ Denn es steht nicht gut um die Familie des Grafen Theodor Waldner, Rittmeister a.D. Beim Kartenspielen verliert er das letzte Geld, im Hotel gibt’s keinen Kredit mehr. Während die jüngere Tochter Zdenka in Bubenkleidung als Zdenko herumlaufen muss, soll die attraktive Arabella auf dem Heiratsmarkt angeboten werden. Vater Theodor hat schon ihr Bild an den reichen, alten Regimentskameraden geschickt und erwartet ihn dringend als zahlungskräftigen Hochzeiter. Das Geschäft muss gelingen.
Indes, man muss um das schöne Kind nicht fürchten. Denn Richard Strauss und sein Librettist Hugo von Hoffmannsthal haben um ihre Titelheldin Arabella keine kritische Gesellschaftsstudie ersonnen, auch keine tränenselige Operette, sondern eine „Lyrische Komödie“, die es in sich hat: waghalsige Intrigen, glückliche Fügungen, eingebettet in eine wechselvolle Liebeshandlung, getragen von einer poetisch hochgespannten Sprache und zusammengehalten von einer duftigen, aber ewig pulsierenden und energiegeladenen Musik.
Im Zentrum des Suchen und Findens des Geldes und der Liebe willen steht eine Frau, die fast zu modern für Ort und Zeit der Handlung – Wien um 1860 – erscheint und eher in die Epoche zwischen den Weltkriegen passt, in der Strauss und Hofmannsthal ihr Werk geschaffen haben. Traumgestalt Arabella behauptet sich darin auf fast brüskierende Weise selbstbewusst und geleitet von ihrem unbeirrbaren Gefühl. Ihre drei Galane – Elemer (Fred Hoffman), Dominik (Matteo Maria Ferretti) und Lamoral (Leonard Lee) – dürfen sie zwar umschwärmen und verwöhnen, blitzen aber ebenso hoffnungslos ab wie der leidenschaftlich verliebte Matteo (Michael Müller-Kasztelan mit elegant-elastischem Tenor). Hatten sie jemals ernsthaft Chancen, so schwinden die, sobald „der Richtige einmal dastehen wird“. Da heißt es dann, „keine Zweifel werden sein und keine Fragen, und selig werd’ ich sein und gehorsam wie ein Kind“.
Man muss um diese Arabella nicht fürchten
Abermals: Man muss um diese Arabella nicht fürchten. Denn in der Kieler Neuinszenierung von Uwe Schwarz macht Lori Guilbeau mit Stimme und Statur deutlich, dass hier kein opferbereites Mädchen zur Disposition steht. Ihr Auftritt ist absolut dominant, ihr Sopran von klarer Durchsetzungskraft, hinter dessen manchmal scharf anmutender Schale ein empfindsam weicher Kern schimmert – vor allem dann, wenn es um „den Richtigen“ geht, in den Duetten mit Schwester Zdenka also und vor allem mit Mandryka, dem Herbeigesehnten. Dann eben tönt die Musik am schönsten und am süßesten.
Dieser Mandryka freilich ist der Richtige am falschen Ort. Ihn hat zwar, wie einen Verwandten des Zauberflöten-Tamino, Arabellas „Bildnis bezaubernd schön“ angelockt, doch er braucht diesen Heiratsmarkt nicht. Und er trägt in der Brieftasche nicht nur die Tausender-Scheine als Ausweis des reichen Grundbesitzers, sondern er bringt auch die slawonischen Wälder mit sich und reibt und stößt sich folglich an der vermeintlich feinen Wiener Schicht. Tomohiro Takada findet für diesen Zwiespalt fahrige, nervöse Gesten, lässt aber davon ungehindert seinen farbenreichen, ins Charakterfach gereiften Bariton strömen, wunderbar kernig und in richtigen Momenten weich moduliert oder zornig ausbrechend.
Um das Liebespaar herum, bis es sich endlich und nicht nur vorläufig gefunden hat, zwitschert und zappelt Zdenko/Zdenka als komödiantische Person und Verwirrung stiftende Doppelfigur. Marcedes Arcuri gibt sie mit allen ihren feinen Talenten als wundervolles Leichtgewicht: mit hell timbriertem, aber fülligem Sopran, schlank und quicklebendig, notgedrungen schlau im Spiel. Dagegen agieren die alten Waldners in einem anderen Format. Helena Köhnes ewig bekümmerte Adelaide und Timo Riihonens ausgelaugter Rittmeister zeigen sich als Sänger aller Ehren wert, doch die Regie hat sie im Komödienstadel sitzen lassen.
Denn Regisseur Uwe Schwarz wagt sich in einen Wettbewerb mit Kiels Generalmusikdirektor. Im Orchestergraben nämlich bringt Georg Fritzsch alle Nuancen von Richard Strauss’ Kompositions- und Instrumentierungskunst auf den Parcours. Das Philharmonische Orchester musiziert auf höchster Alarmstufe, und Fritzsch leitet sein Ensemble mit stetiger Präsenz durch die mit Leitmotiven und Überraschungen, köstlichen Einfällen und harmonischen wie rhythmischen Verwicklungen gespickte Partitur. Das klingt aufregend und fordernd, aber im rechten Moment dezent und niemals lautstark zu Lasten der Sänger.
Es dreht sich und wirbelt und wuselt
Uwe Schwarz stellt sich mit seiner Inszenierung der musikalischen Herausforderung. Er sorgt für permanente Aktion, selten senkt sich Ruhe über die stets herrschende Aufregung auf der Bühne. Ausstatterin Dorit Lievenbrück hat hinter den wuchtigen Salon eine von hohen Türöffnungen begrenzte Rotunde bauen lassen. Die dreht sich gern und schiebt, tanzenden Uhrfiguren gleich, die Akteure herbei. Und drinnen wirbelt’s und wuselt’s, denn ständig muss was passieren: Der Faschingsball, angeführt von der spritzig auftrumpfen Katerina von Benningsen als Fiakermilli, wird zum viel fotografierten Touristen-Event, der Bär steppt und, falls erforderlich, stellt Mandrykas Diener Welko (Arne Prill) fleißig die Topfpflanzen um.
Nicht immer gelingt es der Inszenierung, über die Langstrecken der Konversationskomödie kurzweilige Effekte zu setzen. Immerhin macht Uwe Schwarz mit gescheit kalkulierter Konzeption und gewitzter Realisation deutlich, dass sich die Gesellschaft um Arabella nicht in der Elite-Liga tummelt: der Heiratsmarkt schäbig, das Hotel allenfalls vier Sterne, das Personal durchschnittlich, die Vergnügungen öd, die Intrige eher fad, die Hintertreppe nicht fern. Darüber flieht das Liebespaar nach absolviertem Happy End: statt sittsam aufs Zimmer ohne Anstand ab in Mandrykos Wälder. Dann: zurück in den moderaten Premierenapplaus. Und abschließend widerfährt Tomohiro Takeda durch den Stadtpräsidenten die ehrenvolle Beförderung zum Kieler Kammersänger.
Info und Termine: www.theater-kiel.de
10. Dezember 2017 um 16:37
?Schöne und aufschlussreiche Rezension , aber ich persönlich nag diese Oper nicht so sehr, tut mir leid