Wladimir Kaminer las und erzählte im MAX
Von Jörg Meyer
Kiel. Er sei ja beinahe schon „ein Familienschriftsteller“ geworden, meint Wladimir Kaminer im fast ausverkauften MAX. Nach den Büchern über Mütter und Kinder widmet er sich im neuesten „einigen Dingen, die ich über meine Frau weiß“. Doch das sei eigentlich schon wieder veraltet. Daher liegt neben dem „Loblied auf das geheimnisvolle Wesen Frau“ und deren „noch geheimnisvollere Vorliebe für sehr schöne, aber auch sehr teure Dinge“ bereits das nächste, noch unveröffentlichte Manuskript auf dem Lesepult: Beobachtungen des „verdienten Touristen der Sowjetunion“ im kleinen Kosmos eines Kreuzfahrtschiffs.
Doch zunächst geht es um das, was ihm „lieb und (im doppelten Wortsinn) teuer“ ist, nämlich seine Frau Olga und deren gerade auf Reisen ausbrechende Kaufräusche. Leider seien „die schönen Dinge, die schöne Frauen anziehen“, nicht immer zweckmäßig. Die blau bestickten Servietten aus Portugal kommen nie zum Einsatz, weil viel zu wertvoll, um bei leicht aus den Fugen geratenen Silvester-Partys den Schnapsleichen als Schneuztuch zu dienen. Und ausgedrückte Kippen im fein zisilierten Keramikaschenbecher aus Griechenland gehen ja auch gar nicht. So landen all die schönen Dinge im Schrank und „führen dort ein glückliches, erfülltes Leben“. Einen ebenso schönen Lebensabend genießt der 60 Jahre alte Kühlschrank der Schwiegermutter. Er fresse zwar Unmengen an Strom und ächze und stöhne, als wären „darin ganze Heere des Großen Vaterländischen Krieges noch immer am Werk“. Aber zu Zeiten des Kalten Krieges hätte das „auf Zukunft gebaute“ Haushaltsgerät „ohne weiteres …“ – hier verzögert Kaminer den Erzählfluss geschickt mit einer seiner Kunstpausen, damit die Pointe an der langen Lunte umso explosiver zündet – „als Atombunker dienen können“.
Kurzum: Wenn einer eine Reise tut, sei es auch nur in das bewegte Leben eines Kühlaggregats solider sowjetischer Bauart, dann kann er was erzählen. Wo Olga von den gemeinsamen Reisen sublime Souvenirs mitbringt, sind es bei Wladimir urkomische Geschichten. Als „Bord-Autor“ auf Kreuzfahrtschiffen ist er durch Ostsee, Mittelmeer und die Karibik gereist und hat es sich für „das beste Buch, das ich je geschrieben habe“, nicht nehmen lassen, die Mitreisenden auf See und beim Landgang zu beobachten.
„Ich schreibe über die Dramen und Tragödien des Alltags“, legt Kaminer die poetische Latte selbstironisch recht hoch. „Aber Tragödien werden zur Sackgasse, wenn man nicht über sie lachen kann.“ Das kann das Publikum, es kommt aus dem – sich selbst erkennenden – Lachen gar nicht mehr heraus. Zumal Kaminer jede Pointe virtuos als Startrampe für die nächste nutzt. Er kommt vom Höckschen der Kreuzfahrt durch die „paradiesische Karibik“ aufs Stöckchen des Paradieses auf Erden, das die Oktoberrevolution einst versprach. Was er dabei resümmiert, ist nicht nur Pointe, sondern philosophisch: „Alle Paradiese dieser Welt gleichen sich, nur die Höllen sind verschieden.“
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