Am Polnischen Theater überzeugt Debütantin in Mehrfachrolle als Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs

Von Hannes Hansen

Kiel. Ohne Zweifel, es ist eine beeindruckenden Leistung, die Oleksandra Zapolska auf der von Tadeusz Galia sinnreich multifunktionell eingerichteten Bühne des Polnischen Theaters abliefert. In Joanna Murray-Smiths Stück „Granaten“ reüssiert die Debütantin, die erst vor wenigen Wochen ihre Zwischenprüfung an der Kieler Schule für Schauspiel mit Bravour bestanden hat, in gleich sechs Rollen als eben jene namengebenden Granaten, die jeder Zeit explodieren können, als Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Da ist die junge überforderte Mutter von drei Kindern, die sich nicht aus der Klischeefalle der „guten Mutter“ zu lösen versteht und an ihren Selbstvorwürfen zugrunde zu gehen droht. Eine andere Frau hält einen Vortrag auf einem Kongress von Kakteenzüchtern und gerät unversehens auf metaphorische Abwege, auf denen sie den zähen Kampf der Kakteen ums Überleben als Spiegel ihres eigenen Lebens sieht.

 

Ein Teenager verzweifelt auf einer Casting-Show ihrer Schule, eine Witwe erfährt spätes Liebesglück, und eine junge Frau erkennt am Tag ihrer inständig herbeigesehnten Hochzeit, dass sie den Falschen heiraten wird. Eine alternde Diva schließlich hat eine Karriere als Sängerin und Schnapsdrossel hinter sich. Auf ihrer – freilich wohl zum Scheitern verurteilten – Comebacktour vertraut sie sich illusionslos und doch voller Illusionen, was ihre Zukunft betrifft, dem Publikum an.

Das Stück der Australierin Joanna Murray-Smith spielt mit den bekannten Klischees von Selbsttäuschung, Überforderung und Lebenskatastrophen und ist selbst nicht völlig frei von ihnen. Ebenso wenig wie von kabarettistischer Überhöhung bis hin zum Klamauk, etwa wenn die einsame Witwe plötzlich in einem Softporno landet oder die Kaktusliebhaberin das stachelige Objekt ihrer Begierde inniglich umarmt. Glücklicher Weise mildern Tadeusz Galia und Jutta Ziemke in ihrer Inszenierung diese grellen Züge so weit es geht ab und geben ihrer Protagonistin ausreichend Gelegenheit, neben heftigen Gefühlsausbrüchen auch ganz stille, melancholisch unterfütterte Seiten zu zeigen.

Zu Anfang tut sich Oleksandra Zapolska in ihrer Rolle als überforderte Mutter etwas schwer und findet nur mit Mühe die Balance und die Nuancen zwischen abgrundtiefer Verzweiflung und hemmungslosem Zorn. Doch schnell bewegt sie sich sicher in ihren verschiedenen Rollen. Anrührend etwa der Blick der nicht mehr ganz jungen Witwe auf ihr weitgehend ereignisloses Leben und die als glücklos erlebte Gegenwart zwischen Kaffeekränzchen und Canastarunde, und selbst der späten, mit Fassungslosigkeit erfahrenen sexuellen Erfüllung vermag die Schauspielerin trotz des Klischeecharakters der Szene individuelle Zuge zu verleihen.

Gleiches gilt für die Gestaltung der Rolle der alternden Diva in der Tragikomik eines Menschen, der auch dann noch weiterkämpft, als alle Kämpfe längst verloren sind. Zwischen großer Tragödin und armem Schwein, zwischen Großmäuligkeit, verdruckster Ängstlichkeit und heulendem Elend wechselt Oleksandra Zapolska mit geschickt gestalteten Übergängen. Ein Balanceakt, der umso beeindruckender ist, als er von einer Debütantin noch vor dem Ende ihrer Ausbildung geleistet wird.

Infos und Termine: www.polnisches-theater-kiel.de