Uraufführung der Bühnenfassung von Ildikó von Kürthys Roman „Herzsprung“ im Theater Die Komödianten – Besprechung eines „Frauenverstehers“

Von Jörg Meyer

Kiel. Sich in eine der Frauengestalten der Erfolgsautorin Ildikó von Kürthy hineinzuversetzen, fällt nicht ganz leicht, selbst einem „Frauenversteher“, wie mich manche, Männer wie Frauen, halb anerkennend, halb spöttisch nennen. Christoph Munk (auch Regie) ist es in seiner Monolog-Bühnenfassung von „Herzsprung“, die gestern im Theater Die Komödianten mit Sina Schulz als Amelie „Puppe“ Sturm ihre reich beklatschte Uraufführung feierte, gelungen.

Zwiespältige Frauengeschichte

So sind Frauen also wirklich, denke ich oft, während Amelie, Mitbesitzerin des Hamburger Szene-Cafés mit dem bezeichnenden Namen „Himmelreich“, ihren Beziehungs-GAU mit dem Berliner Promi-Anwalt Philipp von Bülow erzählend und nachspielend berichtet. Und dann möchte ich aber auch gleich wieder ein Fragezeichen dahintersetzen: Wirklich?

Zärtlich sich am Kuschelkissen an den „Ex“ erinnernd und nach Geborgenheit suchend: Sina Schulz als Amelie „Puppe“ Sturm. (Fotos: eis)

Denn Amelie ist schon eine sehr „spezielle“ Frau aus dem besserverdienenden Teil der Gesellschaft. Wenn auch mit sehr gewöhnlichen, buchstäblich auch in den besten Kreisen vorkommenden Liebesproblemen: Irgendwie nie ganz ankommende Fernbeziehung, trotz aller aufgesetzten Coolness und trotz der in ihrer „Lichterkettenromantik“ mädchenhaft erträumten „großen Liebe“ mit Kind und Haus und Kegel. Eine erfolgreiche (Geschäfts- und Szene-) Frau, die sich den Star-Anwalt nicht von ungefähr auserwählt hat, denn er passt in ihren Karriereplan mit Spider-Cabrio, bekommt immer einen Tisch in der Sylter Sansibar, trägt teure Anzüge, die stets gut sitzen … Aber leider hat sie sich in ihr „Bülow-Bärchen“ auch wirklich verliebt. Und als er sie mit einem Showbiz-Blondchen betrügt, brennen bei Amelie die Sicherungen durch. Sie wird zum Rache-Engel, zur Furie – jedenfalls nimmt sie sich das vor.

Aber derlei sind Frauen, weiß oder zumindest ahne ich als Frauenversteher, nur in den – sagen wir ruhig mal – Zerrbildern der Tragödie und des Kinos. Und ironisch gebrochen in von Kürthys Romanvorlage. So kommt Amelie trotz eher lauer als heißer Sex-Abenteuer, die sie unternimmt, um Philipp eins auszuwischen, immer wieder auf das zurück, was der eigentliche Antrieb jeder Beziehung ist: Sehnsucht nach Geborgenheit. Dafür steht bildlich eindrücklich der pinke Wohlfühl-Strickpullover (Kostüme: Moritz Vollmers), den sie im ersten Akt trägt. Ebenso das Schlafkissen und Lammfell (Bühnenbild: Bruno M.A. Giurini), das sie immer dabei hatte, wenn sie den Geliebten besuchte, und sich nun traurig erinnernd hinein kuschelt. Bevor sie, zweiter Akt, im kleinen Schwarzen, mit „rot geschminkten Rache-Lippen“ und in goldenen Sandaletten zum Showdown antritt, dessen Ausgang hier natürlich nicht „gespoilert“ wird.

Und wie stellt frau das dar?

Ganz ihrer „Lichterkettenromantik“ hingegeben: Sina Schulz als Amelie auf der Liebesschaukel

Sina Schulz, die schon im November 2016 in der Bühnenfassung von Ildikó von Kürthys „Mondscheintarif“ bei den Komödianten reüssierte, einem Stück, das dem „Herzsprung“ in vielem (vielleicht allzusehr) ähnelt, muss ihr ganzes gestisches, spielerisches und stimmliches, nicht zuletzt gesangliches Repertoire aufbieten, um Amelie in all ihren Zwiespälten darzustellen. Sie kommt dabei immer wieder an den Rand ihrer wie ihrer Figur Möglichkeiten. Solches immer am Rand – und darüber hinaus – Sein ist einerseits Herausforderung, andererseits macht es im manchmal Nicht- oder nur zu drei Vierteln Gelingen die Figur umso authentischer. Man hat, zumal als „Frauenversteher“, den Eindruck, gar nicht im Theater zu sitzen, sondern einer zu lauschen, der man (leider) „nur ein guter Freund“ ist. Man möchte geradezu Ratschläge geben, aber das darf man aus dem Publikum natürlich nicht. Ein weiterer Zwiespalt im pinken Mitgefühl. Und ein Indiz für gutes Theater, für diese kleinen, verstörenden Momente, wenn Amelie und damit auch dem Zuschauer eben nicht alles klar ist, im Spiel wie in der Figur.

Plädoyer für Zweifel und Zwiespalt

Die so genannt starken Frauen, die schon alles (über sich und andere) wissen, jede Situation souverän „handeln“, wie es Amelie anfangs sich selbst vorgaukelt, mögen „Frauenversteher“ nicht, denn da gibt’s ja nichts zu verstehen, zu beraten und zu helfen. Das mag sich auch Christoph Munk gedacht haben, als er den Monolog aus dem Roman extrahierte und das Stück mit Sina Schulz auf die Bühne brachte.

Mehr aus Schwäche, denn aus Stärke: Sina Schulz als „Rache-Engel“ Amelie

Denn mehr als die Stärken sind es die Schwächen des Menschen, seine Verlorenheit im Konstrukt der Person, die auf dem Theater verhandelt werden. Obwohl jener gesunde Selbstzweifel Amelie manchmal abgeht, dann aber als Verzweiflung umso eindringlicher sie bedrängt, zeigt „Herzsprung“ eine Frau – oder sollten wir sagen: mehr noch, einen Menschen – auf dem Roadmovie-Weg durch ihre/seine Wirren. Und das berührt: trotz oder gerade wegen allen Zwiespalts in Person und Pink.

Info und weitere Spieltermine: www.koediantentheater.de