Die Ernst Busch Chöre aus Kiel und Berlin singen zu 100 Jahren Matrosenaufstand und Novemberrevolution

Von Jörg Meyer

Kiel. „Vorwärts und nicht vergessen, worin uns’re Stärke besteht“, klingt es mit festen Stimmen aus dem Probenraum des Kieler Ernst Busch Chors in der Pumpe. Der Chor unter der Leitung von Marianne Kuder-Hartmann (am Klavier Evgeny Kosyakin) probt für ein gemeinsames Konzert mit dem Berliner, ebenfalls nach dem aus Kiel stammenden Arbeiter, Schauspieler und Sänger Ernst Busch benannten Chor am Sonnabend im Legiensaal. Titel: „Es gibt keinen Frieden, wenn wir ihn nicht wollen – Matrosen und Arbeiter – Aufstand – Revolution“. Da darf das berühmte „Solidaritätslied“ von Brecht/Eisler natürlich nicht fehlen.

Veranstaltet wird das Konzert vom DGB Region Kiel mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung S.-H. und der Landeshauptstadt Kiel im Rahmen des Gedenkens zu 100 Jahren Matrosenaufstand. Aber nicht nur der Aufstand selbst wird hier sozusagen „geprobt“, wenn die Sängerinnen und Sänger in Demo-Aufstellung buchstäblich voranschreiten. Der Chor erzählt in einer mit der Schauspielerin Linda Stach erarbeiteten Choreografie die Geschichte des Matrosenaufstand und der Novemberrevolution von Anbeginn. Schon im Winter 1917/18 gab es in Kiel Streiks gegen Hunger und Krieg. Vor allem die Sehnsucht nach Frieden trieb die Menschen damals um und auf die Straßen. So finden sich im Programm neben Revolutions- auch Volkslieder wie „Maikäfer flieg’, dein Vater ist im Krieg“, „Kalinichta“ oder „Bitten der Kinder“ aus Brechts „Kinderlieder“-Zyklus, die – und das ist beiden Ernst Busch Chören wichtig – auf die heutige immer noch und wieder von Krieg und Flucht heimgesuchte Weltlage verweisen. Dabei zitieren aus den Chorreihen heraustretende Sprecher Zeitzeugen, etwa den Kieler Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrats Lothar Popp, der forderte: „Möge jeder die Zeichen der Zeit erkennen. Zerbrecht endlich eure Ketten. Sie zerbrechen so leicht, wenn ihr nur wollt.“ Auch heutige „Zeitzeichen“ werden explizit benannt: „Ende 2016 waren weltweit 65 Millionen Menschen auf der Flucht vor Kriegen, Verfolgung, Gewalt, Armut, Naturkatastrophen.“

Singen gegen Krieg und Armut – der Kieler Ernst Busch Chor bei der Probe zu seinem Konzert zu 100 Jahren Matrosenaufstand (Foto: ögyr)

Ein besonders berührender Moment entsteht, wenn der Chor leise das Lied „Irgendwo auf der Welt (gibt’s ein kleines bisschen Glück)“ anstimmt, das die Comedian Harmonists sangen, als ihre jüdischen Mitglieder vor dem Nazi-Terror fliehen mussten. Kaum ein Lied könnte besser auf die Situation heutiger Flüchtlinge passen, die in Europa Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen.

Der Aufstand gegen Kriegstreiberei muss also immer wieder neu geprobt werden, wie Lothar Popp 1978 in einem Interview sagte: „Solange es noch eine Kanone gibt und Soldaten, ist die Welt nicht vernünftig.“ Doch dafür muss man zusammenstehen, was der Chor beim „Lied von der Suppe“ oder der „Ballade vom Wasserrad“ nicht nur ohren-, sondern auch augenfällig tut – zunächst empört durcheinander laufend und redend, dann Stimmen und Reihen zur solidarischen Front gegen Krieg und Armut zusammenschließend. Aktueller könnte es auch nach 100 Jahren nicht sein.

Sonnabend, 3.3., 19 Uhr, Legiensaal, Gewerkschaftshaus. Weiteres Konzert mit dem Ernst Busch Chor Kiel am 5.5., 19.30 Uhr im Hof Akkerboom.