Das Kieler Musiktheater vollendet mit „Götterdämmerung“ die Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“

Von Christoph Munk

Kiel. Das Kieler Musiktheater führt sein Großprojekt, Richard Wagners „Ring des Nibelungen“, konsequent zu Ende: „Götterdämmerung“, der „dritte Tag des Bühnenfestspiels“, ist geprägt durch die herausragende musikalische Leistung des Philharmonischen Orchesters unter der Leitung von Generalmusikdirektor Georg Fritzsch und eine eher naive, oberflächliche szenische Erzählung durch Generalintendant Daniel Karasek. Abgerundet wird die bei der Premiere am Wochenende kräftig gefeierte Aufführung durch vor allem gesanglich überzeugend agierende Solisten – Gäste und Ensemblemitglieder – sowie die von Lam Tran Dinh präzis vorbereiteten Chöre.

„Weißt du, wie das wird?“ Die Nornen im Vorspiel von Wagners „Götterdämmerung“. (Foto: Olaf Struck)

Als Georg Fritzsch zum Schlussbeifall auf die Bühne geholt wurde, begannen sich die Zuschauer zu Ovationen zu erheben. Da wurde deutlich erkennbar, dass der Held des Abends vom Dirigentenpult kam. Der GMD behauptet souverän die Deutungshoheit in dieser Produktion. Denn Fritzsch führte sein Orchester nicht nur über alle Klippen und durch die enormen Schwierigkeiten der Partitur, er erzeugte nicht nur Energieausbrüche und Klangräusche, sondern er setze auch wundersame, bedeutungsvolle Zäsuren, gespannte Momente der Ruhe und der leisen intensiven Schönheiten. Der Dirigent zog die musikalischen Linien mit ihren (Leit-) Motiven und Verweisen so transparent über den Theaterhimmel, dass alle Geschichten in und jenseits der Noten lebendig wurden. Fritzsch wurde so mit seinen Musikern zum überragenden Erzähler dieser „Götterdämmerung“.

Kiels Generalintendant dagegen folgt eher gehorsam dem Text, indem er Situationen und Dialoge klar und möglichst einfach in szenische Arrangements übersetzte. Daniel Karasek lässt geschehen, was geschehen muss, orientiert an Richard Wagners szenischen Anweisungen, ohne sich eindeutig auf Ort und Zeit der Handlung festzulegen. Auch Claudia Spielmanns Kostüme, gestaltet nach Mustern aus vergangenen Epochen oder auch modernerem bürgerlichen Design, setzen keine eindeutigen Markierungen. Kontraste bis hin zu krassen Gegensätzen kennzeichnen auch die Bühnenbilder, für die neben der japanischen Künstlerin Chiharu Shiota nun auch Anna Myga Kasten die Verantwortung trägt. Ist die Feuerstelle auf Brünnhildes Felsenhöhe deutlich mit einem flammenroten Netzwerk als typische Schöpfung Shiotas identifizierbar, lassen die anderen kargen, grafisch strikt reduzierten Räume keine entschiedene Handschrift erkennen: die Halle der Gibichungen von kalt kantigem Grau, das wilde Wald- und Felsental des dritten Aktes eine kahle, öde Landschaft aus frisch gestrichenen Wänden, das Schlussbild immerhin in die Tiefe gestaffelt. Den Rest am Untergang von Wotan und Walhall besorgen Lichtgestalter George Cellos und Beleuchtungschef Martin Witzel unter üppiger Verwendung von Farbstrahlern und Bühnennebel.

Aufbruch mit Grane: Szene mit Hirsi Tiihonen und Bradley Daley. (Foto: Olaf Struck)

Wo können da Bilder entstehen? Wo Orte mit Inhalt und Atmosphäre? Wo Sinnlichkeit fehlt, stellt sich Sinn nur zögerlich ein. Das Magische überlässt Karasek den Videos von Konrad Kästner: kosmische Prozesse, Flüge über versehrte Landschaften. Oft gesehen in dieser „Ring“-Tetralogie und immer wieder zu viel. Verbindung mit der Handlung und ihren Hintergründen gehen die Projektionen kaum noch ein. Es sei denn, sie setzen sie sich so banal und ärgerlich überflüssig durch, wie die abgefilmte Begräbnisprozession zu Siegfrieds Tod und Trauermarsch.

Augen auf und durch! Denn es gibt viel zu sehen in dieser „Götterdämmerung“. Doch die finale Produktion des neuen Kieler „Rings“ ist eher ein Genuss für die Ohren. Denn Bradley Daley gibt einen unbelehrbar juvenilen Siegfried, der allerdings ebenso unbeschwert und leichtgängig singt. Kirsi Tiihohnen ist mit der Partie der Brünnhild bis an ihre Grenzen gefordert, findet aber vor allem in Höhenlagen ihre glanzvollen Stärken. Agnieszka Hauzer überzeugt als Gutrune in allen Belangen, Tatia Jibladze fasziniert als Waltraute und in zwei weiteren Partien des tiefen Sopranfachs. Ihr zur Seite als Nornen oder Rheintöchter die hell beweglichen Stimmen von Heike Wittlieb, Lori Gilbeau und Mercedes Arcuri.

Das Männerfach ist mit Taras Shtonda herausragend besetzt, denn der ukrainische Gast verfügt als Hagen über einen kesseltiefen, kalt berechnenden Bass. Tomohiro Takada stellt einen profilierten und kultiviert gestimmten Gunther auf die Szene. Als Alberich vertrat Oskar Hillebrandt – einst häufig in Kiel zu hören – den erkrankten Jörg Sabrowski in gelassener Manier. Und dann ist da noch Grane, Brünnhildes Ross, eine flexible Großfigur, erkennbar nach Berliner Musical-Vorbild von Marc Schnittger erdacht und erschaffen. Lebensnah von drei Statisten geführt, macht das Tier eine gute Figur. Gebraucht wird es nicht wirklich – wie so manches in dieser Produktion.

Info und Termine: www.theater-Kiel.de