Die Stadtgalerie zeigt am Vinetaplatz Entwürfe für die Neugestaltung des Gaardener Iltisbunkers
Von Hannes Hansen
Kiel. Knapp einhundert Jahre nach ihrer Ermordung durch rechtsnationale Soldateska zeigt die alte Dame bedenkliche Verfallserscheinungen. Rosa Luxemburg werden bald Haare und Zähne ausfallen und auch andere Teile des Wandbildes „Revolution und Krieg“ auf dem Gaardener Iltisbunker sind fast dreißig Jahre nach seiner Fertigstellung vom Verfall bedroht. Eine Restaurierung des von dem Harald-Duwe-Schüler Shahin Charmi gestalteten monumentalen Gemäldes, sagt Ute Kohrs, Mitglied des Ortsbeirats, würde rund 300.000 Euro kosten. Zu viel Geld, und überhaupt passt das Bild im schönsten Schwulstststil des Sozialistischen Realismus nicht mehr so recht in unsere Zeit, findet Pjotr Nathan. Man denke, jeden Tag müssten Schulkinder an den auf sie zielenden Geschützrohren des Bildes vorbei gehen. Gruselig.
Pjotr Nathan ist Professor an der Muthesius Kunsthochschule und einer der drei Beteiligten an dem Wettbewerb für die Neugestaltung des Fassadenbildes, den die Stadt Kiel und der Ortsbeirat Gaarden nach Jahre langem Streit ausgeschrieben haben. Die Stadtgalerie Kiel präsentiert in ihrer Dependance am Vinetaplatz ihre Entwürfe. Gefordert in der Ausschreibung waren Auseinandersetzung mit dem historischen Anlass, dem Matrosenaufstand von 1918, mit der von 1941 bis 1943 errichteten Bunkeranlage und mit dem direkten Umfeld, dem ehemaligen Werft- und Arbeiterviertel. „Ham se det nich een bisken kleena?“, hätte meine Berliner Großmutter gefragt, und die drei von der Jury aus neun Wettbewerbern für die Endausscheidung Ausgewählten haben es tatsächlich etwas kleiner. Was nicht heißen soll, dass ihre Entwürfe kleinkariert seien. Ganz und gar nicht.
Der Hamburger Arne Lösekann schlägt eine vor die Fassade geblendete Zackenlinie aus Corten-Stahl vor. Die Zacken bilden die Amplitude der akustischen Schwingungen von Philipp Scheidemanns Rede zur Ausrufung der Republik im November 1918 ab. Schwarze Keile am Fuß der Wände des Bunkers sollen Kindern und Graffitikünstlern die Möglichkeit geben, sich mit ihren Wünschen, Sehnsüchten und Einwänden zu melden.
Konzept und Bürgernähe in einem will der Entwurf sein. Pjotr Nathan hat aus Berichten von Zeitzeugen des Matrosenaufstands Schlagwörter isoliert und Kinder einer Gaardener Grundschule zu diesen Zeichnungen anfertigen lassen. Sie sollen mosaikartig zu einem Wandbild vereinigt werden und die Fassade zum Sprechen bringen.
Chili M. Seitz schließlich will die Gestalt des Bunkers selbst zum Thema machen und nicht einfach Kunst applizieren. In seine von der Straße aus sichtbaren Wände fräst sie zwei Linien ein; die eine bildet die Statistik der in Deutschland Asylsuchenden zwischen 1955 und 2017 ab, die andere die Anzahl der kriegerischen Konflikte im gleichen Zeitraum. Dass sich beide Linien am Ende auf einmalig hohem Niveau kreuzen, wird nicht weiter verwundern. In die Linien eingelegte glitzernde Messinglinien sollen an Patronenhülsen ebenso wie an das Aufblitzen neuer Ideen denken lassen.
Man darf gespannt seine, welcher der drei in unterschiedlichem Maße konzeptuell gedachten Entwürfe das Gefallen der Kieler Bürger findet. Die sollen nämlich befragt werden. Bindend ist ihr Urteil freilich nicht. Gut so.
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