Polnisches Theater besetzt die Mehrfachrolle in „Granaten“ neu
Von Hannes Hansen
Kiel. Es ist, als seien die Figuren in Joanna Murray-Smiths Stück „Granaten“ aus Pedro Almodóvars Erfolgsfilm „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ direkt auf die Bühne des Polnischen Theaters verschlagen worden. Seit Januar dieses Jahres spielte Oleksandra Zapolska in gleich sechs Rollen eben jene namengebenden Granaten, die jeder Zeit explodieren können. Und das zu aller Zufriedenheit, der Regisseure Tadeusz Galia und Jutta Ziemke wie des Publikums.
Seit kurzem steht die Debütantin, die erst vor wenigen Monaten ihre Zwischenprüfung an der Kieler Schule für Schauspiel mit Bravour bestanden hat, für die Produktion nicht mehr zur Verfügung. An ihrer Stelle hat Theaterchef Galia die am Polnischen Theater bestens bekannte Antje Schlaich für die Mehrfachrolle verpflichtet. Er habe, sagt er, an der Inszenierung und an seiner multifunkional gestalteten Bühne kaum etwas geändert, sondern die erfahrene Schauspielerin „machen lassen“. Mit besten Resultaten, denn Antje Schlaich bringt noch einmal neue und differenzierte Facetten in das Stück.
Wie in der Erstinszenierung ist sie zunächst die junge überforderte Mutter von drei Kindern, die sich nicht aus der Klischeefalle der „guten Mutter“ zu lösen versteht und an ihren Selbstvorwürfen zugrunde zu gehen droht. Eine andere Frau hält eine Vortrag auf einem Kongress von Kakteenzüchtern und gerät unversehens auf metaphorische Abwege, auf denen sie den zähen Kampf der Kakteen ums Überleben als Spiegel ihres eigenen Lebens sieht.
Ein Teenager verzweifelt auf einer Casting-Show ihrer Schule, eine Witwe erfährt spätes Liebesglück und eine junge Frau erkennt am Tag ihrer inständig herbeigesehnten Hochzeit, dass sie den Falschen heiraten wird. Eine alternde Diva schließlich hat eine Karriere als Sängerin und Schnapsdrossel hinter sich. Auf ihrer – freilich wohl zum Scheitern verurteilten – Comebacktour vertraut sie sich illusionslos und doch voller Illusionen, was ihre Zukunft betrifft, dem Publikum an.
Das Stück der Australierin Joanna Murray-Smith spielt mit den bekannten Klischees von Selbsttäuschung, Überforderung und Lebenskatastrophen und ist selbst nicht völlig frei von ihnen. Ebenso wenig wie von kabarettistischer Überhöhung bis hin zur Gefahr des Klamauks, etwa wenn die einsame Witwe plötzlich in einem Softporno zu landen droht oder die Kaktusliebhaberin das stachelige Objekt ihrer Begierde inniglich umarmt.
Hatten schon in der Erstinszenierung Tadeusz Galia und Jutta Ziemke diese grellen Züge so weit es geht abgemildert, so besticht Antje Schlaich mit der Fähigkeit, ihre Rolle bis an den Rand der Karikatur zu treiben, ohne diesen Rand je zu überschreiten. Sie macht – vielleicht das Schwierigste an ihren Rollen – den jähen Stimmungswechsel von Euphorie zu Verzweiflung, von Aktionismus zu stillem Innehalten ohne Bruchlinien deutlich; etwa wenn durch die Maske der Knallcharge, die die Kaktusliebhaberin zu geben scheint, von Anfang an die Züge der verwundeten Frau schimmern, noch ehe diese vollends zum weinenden Kind regrediert. Als nicht mehr junge Witwe, die eine späte sexuelle Erfüllung erfährt, entgeht sie mit verhaltenem, ganz in sich gekehrtem Spiel der Gefahr, aus der Szene einen bumsfidele Softporno zu machen, was der Text durchaus nahe legen würde.
Solch reich sich auffächernde Spielfreude zeichnet alle Szenen dieser Inszenierung aus, in der Antje Schlaich hinter den Klischeebildern, die dem Text nicht fremd sind, die Personen in ihrer ganzen Charakterfülle zwischen Verletzlichkeit, Selbstüberschätzung, Wut und stiller Resignation entdeckt.
Weitere Aufführungen: Bis 12.5. jeweils Do, Fr, Sa, 20 Uhr. Karten und Infos: www.polnisches-theater-kiel.de
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