Opern-Raritäten von Rachmaninow im überzeugenden Doppelpack an der Kieler Oper
Von Jörg Meyer
Kiel. „Es gibt kein größeres Leid, als sich im Unglück an vergangenes Glück zu erinnern“, wusste Dante Alighieri, als er in seiner „Göttlichen Komödie“ die vielfachen Kreise der Hölle abschritt. In Sergej Rachmaninows Einakter „Francesca da Rimini“ wird ebenso wie in seinem Frühwerk „Aleko“ erzählt, wie Eifersucht die Seligkeit der Liebe in ewige Höllenqualen verwandelt. Es ist daher einleuchtend und schlüssig, dass Regisseurin Valentina Carrasco an der Kieler Oper beide selten gespielten Einakter zusammenführt: „Aleko“ im Zentrum, umrahmt von Prolog und Epilog aus „Francesca da Rimini“.

Archetypisches Eifersuchtsdrama: Paolo Malatesta (Yoonki Baek) | Lanciotto Malatesta (Ks. Jörg Sabrowski) | Francesca Malatesta (Mercedes Arcuri) (v.l. – Foto: Olaf Struck)
Prolog und Epilog spielen in der Hölle, die Dante (Fred Hoffmann) und Vergils Schatten (Matteo Maria Ferretti) bereisen, um sich von den verlorenen Seelen der von Liebeswahn Befallenen ihre Geschichten im Rückblick erzählen zu lassen. Aleko (Jörg Sabrowski) hat das bürgerliche Leben hinter sich gelassen und sich einer Gruppe von „Zigeunern“ angeschlossen. Dort lernte er Semfira (Mercedes Arcuri) kennen und lieben, die sich jedoch bald einem „jungen Zigeuner“ (Yoonki Baek) zuwendet. Im Eifersuchtswahn tötet Aleko beide und schließt sich damit gänzlich aus der Gesellschaft aus. Ein gleiches Eifersuchtsdrama zerstört die Liebe und das Leben von Lanciotto Malatesta, seiner Frau Francesca und ihres Liebhabers Paolo. Beide Dreiecksgeschichten ähneln sich so archetypisch, dass es einmal mehr sinnvoll erscheint, sie zu fusionieren, mit den gleichen Stimmen und Darstellern zu besetzen und der Rahmenhandlung in der Hölle großen Raum zu geben.
Bedrückende „Soundscape“
In die entführt uns zu Beginn der Prolog, den Rachmaninow mit einer verschatteten, auch harmonisch in einem „Nirgendwo“ angesiedelten „Jenseitsmusik“ in quälend langsamer Steigerung eindrücklich zeichnet. Dem Philharmonischen Orchester unter Leitung von Daniel Carlberg gelingt es, in dieser gut 15-minütigen „Ouvertüre“ die Spannung nicht nur zu halten, sondern auch so zu verdichten, dass die Qualen der Liebesverdammten sich unmittelbar auf die Zuhörer übertragen. Auch Opern- und Extrachor (Einstudierung: Lam Tran Dinh) tragen mit gesummtem Stöhnen und dann stillem Schrei zu dieser ebenso geheimnisvollen wie bedrückenden „Soundscape“ des Schattenreiches bei. Genauso das Bühnenbild von Andrea Miglio, ein kreisender dreieckiger Kubus aus dem Plastikmüll auf Erden, der schon im Video von Julian Jetter und Frank Scheewe über den Gaze-Vorhang flackert, umflattert von Scharen von Möwen, die man unschwer als die verirrten Seelen der Liebesverdammten deuten kann.
Vexierspiel zwischen Anziehung und Abstoßung
Fast erschöpft ist man von diesem sich steigernden Stillstand, da hellt sich Rachmaninows düstere Klangmalerei auf zur burlesken, exotisch angehauchten Welt des „Zigeuner“-Lagers. Schöner Regieeinfall – dazu wickelt sich der Chor, der hier auch balletthaft agiert, aus schwarzen Plastikfolien. Aleko sinnt seinem Liebesglück nach. Doch schon bald, wie später auch als Lanciotto Malatesta, wandelt es Jörg Sabrowskis erdiger Bass-Bariton vom verträumt Romantischen in die harschen Töne des von Eifersucht Zerfressenen. Einen ähnlich weiten Gefühlsambitus umspannt Mercedes Acuris Sopran in ihren Titelpartien von der Ehefrau, die ihren Gatten einsilbig den Laufpass gibt, bis zur – dennoch lyrischen – Ekstase.

Vexierspiel zwischen Anziehung und Abstoßung in Dantes Inferno: Der Schatten von Vergil (Matteo Maria Ferretti) | Dante Alighieri (Fred Hoffmann) | Bewegungsstatisterie (v.l. – Foto: Olaf Struck)
Doch verdammt und rettungslos sind sie alle, auch die jungen Liebhaber (liebesentflammt mutig: Yoonki Baek) und Timo Riihonen, der als Semfiras Vater das nahende Unglück aus Bassabgründen aufscheinen lässt. Noch überzeugender bringen Chöre und Bewegungsstatisterie das Wechsel-, um nicht zu sagen Vexierspiel zwischen Anziehung und Abstoßung auf die Bühne, sei es tänzerisch im „Zigeuner“-Lager oder als ziellos Umherirrende in Dantes Inferno.
Bewegender Stillstand
Rachmaninows beide Einakter sind vergleichsweise handlungsarm, erzählen sie doch die immer wieder sich gleichenden Geschichten, wie die Liebe dem Wahn verfällt, Himmel sich in Hölle verwandelt. In „Francesca da Rimini“ trug Rachmaninow dem Rechnung, indem er das Libretto von Modest I. Tschaikowski radikal zusammenstrich. So wird aus der „ewig gleichen“ Geschichte der Leidenschaften eine Art Seelengemälde bewegten Stillstands. Die Verschränkung beider Opern zu einer verstärkt diese vom Komponisten wohl intendierte Wirkung. Solchem Höllenkreisel über 160 Minuten zu folgen, ist für den Zuschauer ein Kraftakt, der freilich damit belohnt wird, dass man die „unendliche Geschichte“ hautnah bewegt miterleben kann.
Infos und weitere Aufführungen: www.theater-kiel.de
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