Der Kieler Jazz-Klarinettist Stefan von Dobrzynski wird 90

Von Jörg Meyer

Kiel. „Dass ich das mal beruflich machen würde, konnte ich mir damals nicht vorstellen“, erzählt Stefan von Dobrzynski, der einflussreiche Jazz-Klarinettist, bekannt nicht nur in Kiel, sondern weit über die Grenzen der Fördestadt hinaus, die ihm 2008 den Kulturpreis verlieh. Am 10. Mai feiert er seinen 90. Geburtstag. Wir haben mit ihm zusammen auf sein bewegtes Leben als Jazzer zurückgeblickt.

„Damals“, das war kurz nach dem 2. Weltkrieg, den der in Berlin Geborene, zuletzt noch Eingezogene und in englische Kriegsgefangenschaft Geratene „relativ glücklich überstanden“ hatte und nun die letzten drei Schuljahre in Dresden nachholte. Im „Dampf-Radio“ hörte er US-amerikanische Soldatensender und kam so mit dem Swing in Berührung. „Musikalisch war ich zwar immer schon, aber damit konnte ich erstmal wenig anfangen, dennoch oder vielleicht gerade deswegen interessierte es mich.“ Als er dann eine Swing-Band live hörte, insbesondere die Kunst des Improvisierens, „wusste ich plötzlich, was ich will“. Sein Vater hatte zwar andere Pläne mit ihm, aber von Dobrzynski nahm in Dresden ein klassisches Klarinettenstudium auf, das er in West-Berlin fortsetzte. Dass er daneben „heimlich“ in Jazz-Clubs den Swing für sich erprobte, nahmen ihm seine Lehrer und der Vater sehr übel. „Sie wollten mich rausschmeißen.“ Auch nach der Nazi-Zeit galt nämlich Jazz vielen noch als inakzeptable „Neger-Musik“. Also sollte von Dobrzynski „etwas Ordentliches“ lernen. Sein Vater, inzwischen nach Kiel übersiedelt, nahm ihn in die Firma auf, deren Geschäftsführer er war.

„Vergeudete“, doch „goldene Jahre“

Stefan von Dobrzynski und sein Instrument (Foto: Björn Schaller)

„Vier vergeudete Jahre“, erinnert sich von Dobrzynski mit einiger Bitterkeit an diese „für den Jazz gleichwohl goldene Zeit“. Denn er studierte weiter „privat“ den Swing, gründete ein Quartett und hörte Schallplatten ab, um sie in mühevoller Kleinarbeit in Noten zu transskribieren – Grundlage für seine spätere Kunst als Arrangeur. 1955 trat von Dobrzynskis Quartett beim Amateur-Jazz-Festival in Düsseldorf auf und räumte die ersten Preise in allen Kategorien ab, was von Dobrzynski in der gesamten Republik bekannt machte. „Auch weil ich mit Improvisationen glänzen konnte“, wurde der nun in vielen Combos engagiert: in der SFB Bigband, wo er Herb Geller kennenlernte, in Max Gregers Münchener Orchester. Werner Müller holte ihn zum WDR Tanzorchester, später folgten Engagements bei der NDR Bigband. Allerdings nie in Festanstellung, „dafür war ich schon zu alt“, bedauert von Dobrzynski. „Eine Familie konnte ich mir also nie leisten.“

Dennoch war er seit den 70er Jahren ein viel gefragter Klarinettist und Alt- und Sopran-Saxofonist, auch in Kieler Combos wie Swing Power und Benny’s Bigband. „Moderne Harmonien konnten nur wenige“, beschreibt von Dobrzynski seine einzigartige Weise, den alten Swing ganz modern zu spielen.

Stichwort Moderner Jazz: „Der ist zumindest in Deutschland praktisch tot, imgrunde seit der Beat-Musik der 60er Jahre“, so von Dobrzynskis dezidiertes Urteil, „das mir sicher manche übelnehmen werden“. Es gebe kaum noch genuine Jazz-Clubs. Heutige deutsche Jazzer von Weltrang, da falle ihm nur Till Brönner ein. „Die Deutschen haben – durch die Unterdrückung des Jazz bei den Nazis – nie wirklich an die Jazz-Traditionen anschließen können; junge Musiker entfernen sich immer weiter von dem, was ich als Jazz begreife.“ Ein beinahe Verdikt – doch das eines, der den Swing von der Pike auf studiert und wie kaum ein Zweiter in die Moderne transformiert hat.