Theater im Werftpark: Astrid Großgasteiger dramatisierte Stanislaw Lems Zukunftsvision „Der futurologische Kongress“
Von Christoph Munk
Kiel. Hätte man vor 50 Jahren ahnen können, wie exakt Stanislaw Lem mit seinem Science Fiction-Roman „Der futurologische Kongress“ die Verhältnisse unserer Jahre erfasst hatte? Was seiner kühn vorausgreifenden Fantasie entsprang, wird heute real greifbar. Jedenfalls scheint es, als habe der Zeitgeist den Text in die Spielpläne der Theater geweht und Astrid Großgasteiger, Chefin des Kieler Werftpark-Theaters, im Wind gestanden, als sie ihr Repertoire plante.

Debattieren, Ausprobieren: Szene aus „Der futurologische Kongress“ mit (v.li.) Gulshan Sheikh, Annegret Taube, Lasse Wagner (Tichy) und Kristin Hansen. (Fotos: Olaf Struck)
Was beim achten „Futurologischen Kongress“, den der um 1970 entstandene Roman des polnischen Autors zum Ausgangspunkt nimmt, auf der Agenda steht, hätte auch heute allerhöchste Dringlichkeit: Städtebau, Ökonomie, Atmosphäre, Energetik und Ernährung als Weltkatastrophen, dazu Militär und Politik. Raumfahrer Ijon Tichy ist dazu als Teilnehmer ins Hilton Hotel in Nounas, der Hauptstadt Costricanas, geladen. Und was er dort erlebt, stürzt ihn serienweise in Krisen. Draußen formiert sich die Bevölkerung zum terroristischen Widerstand gegen die Militärregierung. Die setzt dagegen konventionelle Waffen ein, aber auch chemische Kampfstoffe. Denn selbst im Schutzraum Hotel bemerkt Tichy an sich die Wirkungen der Benignatoren, dem Trinkwasser beigemengte Begütigungsmittel als gezielt eingesetzte Stimmungsaufheller im bösen Spiel. Die Flucht vor Gewaltakten und Zwangsmaßnahmen solcher Art in die Kanalisation bringt keine endgültige Rettung, denn Tichy leidet an Halluzinationen und an fast vollständiger körperlicher Zerstörung, bis er zur Aufbewahrung für eine ungewisse Zukunft in flüssigen Stickstoff eingelagert wird.
Nur scheinbare Beruhigung nach Überraschungen und Turbulenzen: Ijon Tichy erwacht in einer neuen Zeit: 2039 – Frieden herrscht und allgemeiner Wohlstand. Über das Wetter wird demokratisch abgestimmt, Körper werden aus Einzelteilen zusammengeflickt, selbst Tote können auf Wunsch wiederbelebt werden. Dies alles geschieht unter dem Einfluss der „Psychemie“, denn die Kontrolle der menschlichen Psyche bedeutet jetzt ein ebenso gewöhnliches Machtmittel wie der Einsatz von „Maskonen“, Scheinbildern die jedes beliebige Objekt vortäuschen können. Jetzt sieht Ijon Tichy die Wirklichkeit bedroht.
Und auf der Bühne entwickelt sich aus einer flott absolvierten Abenteuerstory ein engagiertes Lehrstück. Denn auch dieser Teil nach der Pause wird von den fünf Schauspielern des Jungen Theaters im Werftpark mit höchstem Bewegungseifer und bebender Spiellust realisiert. Wie von Anfang an verkörpern alle Ijon Tichy. Annegret Taube, Gulshan Sheikh, Lasse Wagner, Sebastian Kreuzer und Kristin Hansen lassen den Raumfahrer in fünf Ausführungen erscheinen, mal chorisch vereint, mal individuell. Sie wechseln Gestalt und Temperament, lösen sich ab und schlüpfen so im flüssigen Ablauf umso rascher durch Situationen und Stationen. Und finden manchmal sogar spaßige Karikaturen.
Astrid Großgasteigers Kunstgriff, in ihrer Bühnenbearbeitung die Form von Lems Romanfassung – Ich-Erzählung und Tagebuch – umzukehren, erhöht zwar nicht die Verständlichkeit der nun etwas verzwirbelten, verzwickten Geschichte, sie verwandelt sie jedoch in einen Erzählmodus, in dem die Regisseurin ihre Stärken entfalten kann. Wo Großgasteiger Hand anlegt, passiert immer was. Sie schichtet und schachtelt Miniaturen und Details; in allen Ecken wuselt’s und macht’s – Hauptsache Tempo, Farbe, Energie. Bei so viel Theaterei fühlen sich auch Großgasteigers Werftpark-Akteure wohl. Sie dürfen spielen, spielen. Doch geschärfte Sprechkultur, die Stanislaw Lems Spiel mit Worten erst zum Leuchten brächte, ist ihre stärkste Tugend nicht. Also: Mal wieder viel los im Werftpark. Nachbereitung des Themas für Schüler später.
Info und Termine: www.theater-kiel.de
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