Die Kieler Oper präsentiert einen lange vergessenen Schatz des Barock: „La Divisione del Mondo“

Von Christoph Munk

Kiel. Es gehört zu den Rätseln der Musikgeschichte, dass die Oper „La Divisione del Mondo“ von Giovanni Legrenzi nach dem Libretto von Cesare Conradi seit ihrer Uraufführung 1645 in den Archiven des venezianischen Barock schlummerte – mehr als 300 Jahre lang, bis der Dirigent und Musikforscher Thomas Hengelbrock sie für eine Produktion der Schwetzinger Festspiele 2000 aus dem Vergessen holte. Und wieder verstrich viel Zeit, bevor der Barockspezialist Alessandro Quarto und der Regisseur Ulrich Waller jetzt am Kieler Musiktheater demonstrieren können, welch feiner Schatz von parodistischer Unterhaltungsqualität hier zu entdecken ist.

Liebessehnsucht unerfüllt: Venus (Heike Wittlieb) und Apollo (Lucia Napoli) (Foto: Struck)

„La Divisione del Mondo – Die Aufteilung der Welt“ – Keine Fundstelle in der gängigen Literatur, kein öffentlich zugängliches Aufführungsmaterial, kein aus dem Italienischen übersetztes Libretto, keine Referenz-Einspielung auf dem Phono-Markt – selten war es so schwierig, sich einer Opernpremiere gewissenshaft präpariert zu nähern. Dann führte die Inhaltsangabe im Programmheft eher in ein Handlungslabyrinth ohne roten Faden. Was bleibt, bevor sich der Vorhang hebt? Preisgabe an ein Verwirrspiel über fast drei Stunden in italienischer Sprache, Entspannung ohne Erwartungsdruck, ganz einfach: Sehen, Hören, Staunen.

Es lohnt sich vom ersten Ton an. Denn Alessandro Quarta, der Spezialist für Alte Musik, entlockt dem hellwach und energisch spielenden Philharmonischen Orchester einen frischen, dramatisch zügigen Klang. Der Dirigent formt und belebt mit ungewöhnlich variantenreicher Gestik Legrenzis Partitur, überwindet dabei alle Formelhaftigkeit in den üppig aufblühenden Streicherfiguren und setzt mit dem effektvoll aufspielenden Basso Continuo (Lauten, Cello, Cembalo und Kontrabass) erstaunlich reizvolle melodische und rhythmische Akzente und immer wieder neu klingende Wendungen.

Mord nach Art der Mafia

Nach dem Vorspiel beginnen Musik und Szene martialisch. Regisseur Ulrich Waller und sein Choreograf Kim Duddy lassen mit tänzerischer Eleganz Kämpfer aufmarschieren. Sie arbeiten mit Handfeuerwaffe, Schläger, Würgeseil und fällen den Gegner kurz und herzlos. Die Methode markiert das Milieu: Machtkampf nach Art der Mafiosi. Die Sphäre der antiken Götter ist fern. Und Legrenzis und Conradis ursprünglicher Auftrag, deren hierarchischen Strukturen am venezianischen Adel parodistisch zu spiegeln, geht flöten. Stattdessen orientieren sich Quarta und Waller an Vorbildern aus dem italienischen und amerikanischen Kino: Die Bildmuster stammen von Visconti und Fellini, von Coppola und Scorsese.

Amor (Karola Sophia Schmidt) mischt mit am Chaos der Tänzer um Diana (Isabella Lee) (Foto: Struck)

Jupiter übernimmt die Rolle des Paten. Seine Brüder Pluto und Neptun verlangen nun die Aufteilung der Welt, eben La Divisione del Mundo. So wäre es auch in Chicago oder New York der Brauch. Doch der Boss hat andres im Sinn: Altvater Saturn ist aus dem Gefängnis zu befreien. Und Ehefrau Juno verlangt voll leidenschaftlicher Eifersucht die Lösung aller erotischen Verknotungen, in die der Clan verstrickt ist. Als Urheberin hat die Göttergattin ihre ungeliebte Stieftochter Venus und deren unehelichen Sohn Amor ausgemacht. Sie hat ihren Mann Vulkan verlassen, ist äußerst liebebedürftig in Jupiters Villa eingedrungen und mischt die Party auf.

Nach und nach breitet sich Chaos aus. Denn so gut wie alle erotischen Absichten bleiben unerfüllt. Außer Jupiter und Juno, Pluto und Neptun, Venus und Amor quälen sich sich die göttlichen Persönlichkeiten Apollo, Mars, Merkur und Diana mit ihren Sehnsüchten. Keiner kriegt, wen oder was er begehrt. Keiner blickt durch. Ein Beziehungsschema könnte helfen. Doch später erweist es sich als überflüssig.

Ein Erzählfluss aus Stopp and Go

Denn Ulrich Waller findet für das Wirrnis der Beziehungen und Begegnungen die passende Form. Bühnenbildnerin Nina von Essen hat ihm eine großformatige Bürgervilla gebaut, in der die Drehbühne immer neue Räume freigibt. Türen gehen auf und zu, Vorhänge bauschen sich und legen sich wieder, Lauscher wie Beobachter erscheinen und verschwinden, Situationen und Konstellationen entstehen und vergehen. Ein Erzählfluss im Stopp and Go. Das macht Sinn, denn die Regie erfindet tatsächlich einen filmischen Rhythmus: die Montagetechnik des Kinos auf die Opernbühne. Und die Inszenierung überspielt so die kurzatmige Dramaturgie von Libretto und Komposition: Es entsteht ein Spannungsbogen über den knappen, manchmal unvollständigen Arien und Ensembles und über dem stetigen Wechsel von Szenen und eingeschobenen Tänzen im musikalisch aufleuchtenden Schimmer in immer neuen Farben.

Belebt wird dieser reichhaltige Bilderbogen aus der Götter-, Adels- oder Mafia-Familie durch eine wunderbar homogen ausgerichtete Gruppe von Solisten: Mit Heike Wittlieb (Venus), Tatia Jibladze (Mars), Karola Sophia Schmidt (Amor) und Matteo Maria Ferretti (Pluto) gesellen  sich vier Mitglieder des hiesigen Ensembles bruchlos in die Reihe und auf das Niveau der auswärtiger Spezialisten: Sonia Tedla Chebreab (Juno), Lucia Napoli (Apollo), Valeria Girardello (Merkur) Isabella Lee (Diana), Dashuai Chen (Jupiter), Luca Cervoni (Neptun) und Giacomo Nanni (Saturn). Und am Pult poliert mit sicherer Hand und souveränem Überblick Alessando Quarta den Glanz auf diesem Schmuckstück aus der Schatzkammer des venezianischen Barock. Es wurde zur Premiere gehörig gefeiert.

Info und Termine: www.theater-kiel.de