Brechts „Kaukasischer Kreidekreis“ am Schleswig-Holsteinischen Landestheater

Von Hannes Hansen

Auf dem Foto: Beatrice Boca, Uwe Kramer, Heidi Züger

Schleswig. Der strenge Duft nach gesellschaftlichem Reinigungsmittel durchzieht Stefan Noltes Inszenierung von Bert Brechts „Kaukasischem Kreidekreis“ am Schleswig-Holsteinischen Landestheater, einem Fest für Freunde des epischen, des Belehrtheaters.

Es geht dabei, wie sollte es auch anders sein, vor allem um den berühmten „Verfremdungseffekt“, und das heißt: weg mit dem aristotelischen Einfühltheater, nix da mit Katharsis via emotionale Einstimmung, keine Mimesis, keine Identifikation mit den Schauspielern. Dafür Anleitung zur Kritik, zum distanzierten Betrachten und ein Theater als, wie Brecht es formuliert, „Instrument der Aufklärung im Sinne einer revolutionären gesellschaftlichen Praxis“. Die Mittel dafür sind Unterbrechung der Handlung durch einen Erzähler, der dem Zuschauer verklickert, worum es eigentlich geht, nämlich um das Ändern der Verhältnisse, sind abwechselnd manierierte und derb volkstümliche Sprache, die das Parabelhafte der Handlung unterstreicht, Umbauten und Kostümwechsel auf offener Bühne. Alles lehrstückhaft versammelt im 1944/45 im kalifornischen Exil entstandenem „Kreidekreis“.

Auf dem Foto: Beatrice Boca, Heidi Züger

Die Geschichte der Magd Grusche, die in den Wirren einer Revolution das von seiner herzlosen Mutter zurückgelassene Kind rettet und aufzieht, es am Ende als ihr eigenes beansprucht und von einem volksnahen Richter zugesprochen bekommt, inszeniert der Regisseur strikt nach den Regeln des Meisters für das epische Theater und spielt das Stück – Gott sei Dank mit Ausnahmen – streng vom Blatt. Allerdings nach eigener Interpretation. Innerhalb des Konzepts, das das Theater als erzieherische Maßnahme begreift, findet Stefan Nolte nämlich Wege, die es seinen Akteuren gestatten, sich aus dem Würgegriff der Theorie zu befreien. So darf Heide Züger die Magd Grusche mit einer anrührenden Mischung aus Schüchternheit und Aufbegehren geben, darf Uwe Kramer ebenso den als von den Wellen der Revolution ins Amt gespülten Richter Azdak als skurrilen Volksfreund wie als brutalen Soldaten spielen, dürfen Beatrice Boca, René Rollin, Christin Hellrigl Manja Haueis und Timo Schleheck eine Reihe von Rollen lustvoll ausleben und den unterschiedlichen Typen scharf gezeichnete, auch – ganz im Sinne des Stücks als beispielhafte Parabel – überzeichnete Facetten geben.

Auf dem Foto: Heidi Züger, Uwe Kramer

Bühne und Kostüme von Mechthild Feuerstein folgen auf ganz eigene Weise den Vorgaben Brechts. Zwar gibt es keinen Zwischenvorhang, aber Kästen, die auf offener Bühne hin und her geräumt werden und einmal eine Mauer, dann eine Badewanne oder Versteck bilden, Kostüme aus weißer Wäsche, Stricken und Einkaufstüten (Warnung vor dem kapitalistisch induzierten Konsumrausch?). Also wieder: Nur keine Identifikation. Kann man mögen, muss man nicht. Dumm oder einfach nur sklavisch den Anweisungen Brechts folgend ist Stefan Noltes Inszenierung jedenfalls nicht.

Infos und Termine: www.sh-landestheater.de