Siegfried Bühr inszeniert Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ am Kieler Schauspielhaus

Von Hannes Hansen:

Kiel. Sie höhnen und geifern, sie schreien und brüllen, kreischen, bespucken einander und prügeln sich, sie weinen und trauern, versöhnen sich für Augenblicke, um gleich darauf wieder auf einander loszugehen. Sie, das sind George und Martha in Edward Albees Ehekriegsdrama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, verwundet und gestählt in einem langjährigen, kompromisslosen Infight, in dem alle Mittel erlaubt sind.

Claudia Friebel, Oliver E. Schönfeld, Agnes Richter

Der Professor  an einem wohl zweitklassigen College in einer amerikanischen Kleinstadt, in der es außer Besäufnissen und Ehebruch kaum Abwechselungen zu geben scheint, und seine Frau, eine frustierte Schnapsdrossel und Tochter des College-Präsidenten, kommen von einer Party morgens um drei angeschickert nach Hause. Gleich darauf treffen Nick, ein neuer junger Dozent am College und seine „Süße“ (auf Englisch „Honey“) genannte Frau ein und erleben, wie George und Martha über einander herfallen. Im Zuge der Eheschlacht bekommen auch sie wie ganz nebenbei ihr Fett ab und werden von Beobachtern zu Mitwirkenden. Der Höhepunkt ist erreicht, als die Lebenslügen der beiden Paare offenbar werden. Doch am Ende winkt für Martha und George Erlösung in einem ein wenig treuherzig amutenden Schluss nach dem Moto „Man muss nur ehrlich zueinander sein, dann wird alles gut“.

Agnes Richter, Oliver E. Schönfeld, Marius Borghoff, Claudia Friebel

Das dramaturgische Problem, das dieses Stück aufwirft, ist, dass es eigentlich nur zwei die Handlung voran treibende Charaktere gibt, nämlich George und Martha. Regisseur Siegfried Buhr gibt Oliver E. Schönfeld und Agnes Richter die Möglichkeit, alle Tiefen und Untiefen des Schauspielertheaters auszuloten und mit großem körperlichen und stimmlichen Einsatz das überzeugende Szenario des tragischen Scheiterns einer einstmals großen Liebe vorzuführen. Eines Scheiterns, in dem Kleinstadtmief, frustierte Hoffnungen und eine Lebenslüge sich zu einem übel riechenden Gebräu mischen. Vielleicht würde man sich gelegentlich ein bisschen mehr darstellerische Zurückhaltung zugunsten stillerer Feinzeichnung wünschen, aber dem begeisterten Premierenpublikum im Kieler Schauspielhaus gefiel die Inszenierung uneingeschränkt.

Claudia Friebel, Marius Borghoff

Für die beiden Protagonisten und eben auch für das Stück sind Nick und seine „Süße“ nicht viel mehr als Punching-Bälle und Echos. Damit fertig zu werden, ist für Claudia Friebel leichter. Sie kann so gut wie übergangslos zwischen ihrer Rolle als naives Dummchen und der einer von Angstzuständen geschüttelten heillos Besoffenen wechseln, weil ihr Albee einfach zu wenig psychologisch fundierte Tiefe gibt. Schwieriger dagegen hat es Nick, der versucht, George ein gleichwertiger Widerpart zu sein. Vergeblich, Albee lässt ihn nicht, und so füllt Marius Borghoff die Rolle mit viel aufgeregtem Agieren aus und lässt doch nicht vergessen, dass hier nicht nur ein Mensch nach seiner Balance sucht, sondern eben auch ein Schauspieler auf der Bühne gegen die Tücke seiner Rolle ankämpft.

Diese von Siegfried Buhr und Katrin Busching beziehungsreich konstruierte Bühne nimmt das Muster der Wände des Zuschauerraums auf und bringt sie zum Wanken. Dass überdies während der gesamten Vorstellung das Licht im Saal nicht vollständig verlöscht, verstärkt die Wirkung der alten Theaterweisheit „Tua res agitur“ – „um dich, Zuschauer, geht es“.

Infos und Termine: www.theater-kiel.de