Imposantes Format: Die Einakter „Cavalleria rusticana“ und „Der Bajazzo“ zur Saisoneröffnung der Kieler Oper

Von Christoph Munk

Kiel. Szenische Feuerwerke, musikalische Feste: Die Kieler Oper beginnt ihre Spielzeit mit einer grandiosen Doppelpremiere. Denn der italienische Regisseur Fabio Ceresa treibt die beiden Einakter „Cavalleria rusticana“ von Petro Mascagni und Ruggero Leoncavallos „Der Bajazzo“ ins bombastische Format. Und Generalmusikdirektor Georg Fritzsch am Pult vollendet mit dem Philharmonischen Orchester und den Chören des Hauses die Aufführung zum imposanten Gesamtkunstwerk. Entsprechend enthusiastisch fällt am Ende der Jubel des Publikums aus.

Religiöse Rituale: Szene aus „Cavalleria rustiana” mit Santuzza (Cristina Melis) im Zentrum. (Foto: Olaf Struck)

Ein finsterer Ostermorgen. Undurchdringlich dunkle Fassaden, schwere Portale, Kreuze ragen in den matten Himmel. Alles ist Kirche: Mamma Lucias Haus ebenso wie die nahe Schenke. Bühnenbildner Massimo Chechetto hat den Raum wie das bedrückende Revier einer strengen Glaubensmacht gestaltet. Mag sein, dass die Seele der sizilianischen Dorfbewohner in „Cavalleria rusticana“ so ausgestattet ist. Die junge Bäuerin Santuzza, will uns Regisseur Fabio Ceresa andeuten, scheint die Welt mit solchem Gemüt wahrzunehmen, nachdem ihr Geliebter Turiddu sie erst geschwängert und dann verlassen hat. Meist kauert sie in scharfen Lichtstrahlen wie unter Beobachtungsscheinwerfern.

Er erzähle die Handlung aus der Perspektive Santuzzas, hat Ceresa seine Konzeption erläutert. Daraus folgt, dass er allen Figuren eine symbolische Bedeutung  zuordnet. Viel zu erkennen ist folglich nicht von der Individualität dieser Frau, obwohl ihr Cristina Melis in Stimme und Gestalt ein klares Profil vermittelt. Sie wird einfach, als sei sie willenlos, in religiöse Rituale eingebunden. Als Brotbäckerin wird sie zur Protagonistin einer österlichen Feier der Fruchtbarkeit. Immer wieder öffnen sich vor ihr Toree, hinter denen biblische Tableaus  schauerlich schön erscheinen. Mama Lucia (Gabriele Vasiliauskaite) nimmt darin eine Mariengestalt an.

Auch die anderen Personen der Handlung stehen eher in einem System aus Symbolen, als dass sie eigene Gefühle offenbaren dürften: verletzte Liebe etwa, rasende Eifersucht oder tödliche Rache. Yooki Baeks Turiddu lässt sich schier orientierungslos durch Lust und Leben treiben, Stefano Meo bringt mit Stimmgewalt Tod und Teufel ins Spiel. Tatia Jibladze erscheint als Lola wie eine Ahnung von vergänglicher weiblicher Schönheit. Und im Hintergrund agieren die von Lam Tran Dinh makellos vorbereiteten Chöre – Teil einer perfekten musikalischen Begleitung, die Georg Fritzsch mit großer Geste und Fingerspitze im Detail versieht. Vor so viel ästhetischer Glätte und klanglicher Opulenz stellt sich mit Blick auf die Bühne irgendwann die Frage, was Fabio Ceresa mit seiner Version von „Cavalleria rusticana“ inszeniert: eine menschlichen Tragöde unter bäuerlichen Leuten oder mit frommem Eifer biblische Szenen?

Es wird bunter, Komödianten kommen: „Bajazzo“-Szene mit Agnieszka Hauzer (Mitte) und  als Nedda und Stefan Meo (links). (Foto: Olaf Struck)

Stimmungswechsel: Komödianten kommen, fahrende Gaukler schwärmen ins Dorf und breiten ihre guten alten Szenen in der Tradition der Commedia dell’arte vor. Unter ihnen „Der Bajazzo“, Prinzipal der Truppe und Titelfigur in Ruggero Leoncavallos Kurzoper. Man kennt das Handlungsmuster, sein Thema und seine dramatische Wendung: Der schwere, ehrlich verliebte Held wird von seiner Frau betrogen – auf der Bühne ein Witz, im wirklichen Leben eine Tragödie mit tödlichem Ausgang. „Das Theater und das Leben sind nicht die gleiche Sache“, warnt Canio sein Publikum mit Ernst und Ironie. Vorausschauende Erkenntnis scheint nutzlos, die Realität wirkt stärker. Nedda treibt’s mit Silvio. Beide müssen sterben.

Eine ernste Angelegenheit. Aber für Fabio Ceresa der Anlass, mit List und Lust die ganz große Theatermaschine anzuwerfen. So gut wie alles, was von der Unterbühne bis zum Schnürboden beweglich ist, darf mitspielen. Massimo Chechetto schafft Raumwunder, Giuseppe Paella präsentiert massenhaft, was Schneiderei und Fundus hergeben, Choreograf Mattia Agatiello bringt Menschen und Massen in Bewegung. Sollte man alles beschreiben, was aufwendig ins Angebot gewuchtet wird – von der Wunderkiste und dem Kinderfahrrad über Puppen und Perücken bis zu den Sternen und den Luftakrobaten hoch oben? Man fände kaum ein Ende.

Es wimmelt und wuselt – von Georg Fritzsch und seinen Ensembles wundervoll und mit musikalischer Raffinesse animiert. Und doch sind in dem Getümmel auch komödiantische Spieler auszumachen und unter ihren Kostümen Menschen mit Blut in den Adern und Empfindungen im Herzen. Unübersehbar, eher grobschlächtig, aber mit kultivierter Stimmführung tritt Stefano Meos Tonio auf; Sihao Hu gibt mit Eleganz den Liebhaber Silvio, Fred Hoffmann den Harlekin Beppe. Jenseits aller Klischees gelingt es Agnieszka Hauzer, der jungen Nedda in Stimme und Spiel feine Nuancen von Sehnsucht und Träumen zu verleihen. Und entgegen mancher herkömmlicher Erwartung und jenseits aller mit Tenorglanz veredelten Leidensmuster gibt Dario Prola einen Bajazzo, den stille Qual und nicht tobende Raserei zum Messer greifen lässt.

„La commedia è finita“ – machtvolle Schlussakkorde nach einem gewaltigen Bühnenspektakel. Rauschender Jubel am Ende. Und an den Ausgängen geteilte Meinungen und kleine Zweifel, ob man sich da drinnen nicht doch mehr als satt gesehen hat.

Info und Termine: www.theater-kiel.de