Hagen Rether mit der 7. Ausgabe seines Programms „LIEBE“ im Kieler Schloss

Von Jörg Meyer

Kiel. Über drei Stunden parliert Hagen Rether im fast ausverkauften Kieler Schloss über Politik, Medien und Gesellschaft und deren Verwerfungen. „Immer das gleiche Spiel“ sei das. Deshalb titeln auch all seine Programme schlicht „LIEBE“ – er ist inzwischen bei Teil Sieben.

Wohlgemerkt: „Immer das gleiche Spiel“ ist nicht immer das selbe – Rether legt Wert auf den präzisen Gebrauch der Wörter. Vielmehr wird die Welt immer wirrer und wirft dabei stets neues Material ab für Rethers Kabarettformat, bei dem er im pendelnden Schreibtischstuhl vor dem (unbespielten) Klavier mit den Bananen darauf („alles Banane eben“) fläzt und mal mit, mal ohne erhobenen Zeigefinger, sondern ins Kinn gestützter Hand sich wundert, warum es so ist, wie es (oft komplett verfahren) ist. „Mir geht es nicht um einzelne Fakten oder Personen, sondern um das sich wiederholende Muster“, erläutert Rether das Prinzip seines scharfsinnigen Blicks auf die gegenwärtigen Verhältnisse. Eines dieser Muster sei folgender „Dreisprung“: „Erst wird – heimlich noch – abwertend gedacht, dann abwertend gesprochen („Man wird doch nochmal sagen dürfen …“), und dann, wenn ausreichend Hornhaut auf der Seele gewachsen ist, folgt die Tat – und keinen juckt’s mehr.“

Daran könnte man nicht nur, sondern müsste man auch verzweifeln. „So’n Stapel Hausaufgaben“ läge auf dem Schreibtisch, weiß Rether, „aber die Rechten sagen, nee, machen wir nicht, sondern zünden den Schreibtisch an, an dem wir seit der Bergpredigt, Kant und Lessing schnitzen.“ Sätze, die man erstmal sacken lassen muss. Zumal Rether nachlegt, man müsse Geduld haben, die Dinge änderten sich langsam, eher evolutionär als revolutionär.

Klingt beinahe schon versöhnlich mit dem Lauf der Geschichte, aber Rether mag sich auch empören. Zum Beispiel gegen Brechts Satz „Erst kommt das Fressen, dann die Moral.“ Wo sie denn bleibe, die Moral – bei all den adipös Satten sei sie nicht in Sicht. Und wieso hätten wir 500 Millionen Europäer „die Hosen voll“ vor gerade mal einer Million Flüchtlingen. „Das schaffen wir doch locker“, zitiert er Kanzlerin Merkel gegen die überbesorgten Bürger. Wenn wir hier schon einknickten, was würde dann erst aus den 15 Millionen Holländern, die nach der Klimakatastrophe zu uns kämen – oder die 200.000 Kieler …?

„Dann darf man sich nicht wundern“, sagt Rether, „dass wir Grenzen schützen und Banken retten statt Menschen“. Wieder so ein Satz, der mitten in Herz und Verstand trifft – und vielleicht doch nochmal aufrüttelt. Darin sieht Rether die wichtigste Funktion seines immer wieder gleichen dialektischen Spiels. Man könnte es auch schlicht (Nächsten-) „LIEBE“ nennen.