Liebeswirren in Zeiten des Matrosenaufstandes: Uraufführung der Oper „Falscher Verrat“ im Kieler Musiktheater

Von Christoph Munk

Kiel. Zwei Ideen sollten zusamenwachsen: Die Anstrengung, den Kieler Matrosenaufstand von 1918 zum 100. Jahrestag am Ort des Geschehens umfassend zu würdigen, und der Wille des Theaters, sich daran angemessen feierlich zu beteiligen. Das Ergebnis: „Falscher Verrat“, ein aufwendiges Opus des italienischen Komponisten Marco Tutino, das mit den historischen Fakten großzügig hantiert und gleichzeitig vertraute Muster der Oper effektvoll nutzt. Die Uraufführung am 3. November, präzis also am für Kiel bedeutenden Stichtag für den Beginn der Novemberrevolution, wurde vor fast ausverkauftem Haus entsprechend respektvoll bejubelt.

Am Ende wie gewohnt vor feindlichen Fronten: Arno von Stahl (Tomohiro Takada, links) und Heizer Gabriel (Michael Müller-Kasztelan). (Foto Olaf Struck)

Der Tenor liebt die Sopranistin, der Bariton stört. Diese im Repertoire beliebte Problemstellung erfährt eine zusätzliche Spannung, wenn sie vor dem Hintergrund feindlicher Auseinandersetzungen geschieht und die betroffenen Personen zusätzlich zerstrittenen Lagern angehören. Und schon wird das Private politisch. Klar, dass die Librettisten mit solch bewährten Gepflogenheiten bestens vertraut sind. Denn Drehbuchautor Lucca Rossi textete schon mehrfach Tutino-Werke und Wolfgang Haendeler greift bei seiner Autorentätigkeit auf die Erfahrung vieler Dramaturgenjahre zurück – unter anderem in Kiel.

Eine Liebe in kriegerischen Zeiten also: Im Falle von „Falscher Verrat“ funktioniert die Darstellung des  Kieler Matrosenaufstandes im Hintergrund ganz nach Schema: Der junge Heizer Gabriel Jensen übernimmt die Tenorpartei. Er protestiert im Einzelnen gegen die mangelhafte Versorgung der Mannschaft auf der SMS Helgoland und im Allgemeinen dagegen, dass die Marine zu einem finalen Himmelfahrtskommando in den Seekrieg geschickt wird. Als Bariton agiert Korvettenkapitän Arno von Stahl, ein Offizier, der zwar unter dem Befehl seines Schwiegervaters Admiral Rufus Kropp steht, aber in der Klemme sitzt, denn er hat Skrupel, seine Mannen allein der nationalen Ehre wegen dem Tod in einer sinnlosen Seeschlacht preiszugeben. Noch mehr im Zwiespalt lebt die Sopranistin: Lola, eine Hure, ist beiden Männern zugetan. Sie ist dennoch eine von den Guten, denn sie ist mit höherem Bewusstsein gesegnet und weiß Körper und Seele zu trennen, das Geld also vom Vergnügen. Höhepunkt der angerichteten Liebesverwirrung: Lola wird im Bett des Freundes  Gabriel, den sie „von den Wiesen von Molfsee“ kennt, mit Arno, dem Rivalen im Offiziersrang, in flagranti… Gabriel weint. Gnädig senkt sich der Vorhang zum Aktschluss.

Nach der Pause stellt sich die Motivlage der privat wie politisch konkurrierenden Herren etwas verworrener dar: Beide sehen sich als Folge persönlicher Verstrickungen zur Änderung ihrer Haltung und schließlich zum Verrat an ihrem Stand und ihrer Sache gezwungen. Klingt komplizierter als es sich am Ende erweist. Denn da folgen beide wieder sowohl dem historisch vorgegebenen Handlungsgang als auch dem Opernschema: Jeder findet seien angestammten Platz: Gabriel an der Spitze Aufständischen, Arno vor der Front der Offizierswache. Beide sterben einen effektvollen Bühnentod. Zurück bleibt die Geliebte in Trauer und Gebet.

Der Tenor (Michael Müller-Kasztelan) liebt die Sopranistin (Agnieszka Hauzer); der Bariton (Tomohiro Takada, rechts) stört. (Foto Olaf Struck)

„Falscher Verrat“ erfüllt also weitgehend die Erwartung des Publikums. Zwar scheint es gewagt, einen Offizier zu zeigen, der einen Heizer zu Meuterei anstiftet, zwar bleibt der Sturm der roten Fahnen auf das Rathaus (?) eher Episode und signalisiert nicht den Aufbruch in eine neue Epoche. Aber das Auftragswerk genügt den Anforderungen an die repräsentativen Qualitäten einer Festveranstaltung. Marco Tutinos Komposition führt die breite Kulisse eines dramatischen, romantischen, sowohl rhythmisch erregenden und wie auch innig betörenden Klangspektrums vor: Maschinenlärm wie Meeresrauschen, Liebesweh wie Revolteruf – immer leicht illustrativ. Und Generalmusikdirektor Georg Fritzsch kostet mit den Kieler Philharmonikern und allen Chören des Hauses (Einstudierung: Lam Tran Dinh) alle Nuancen genussvoll aus. Lars Peter schafft Räume von heimischer Weite, Claudia Spielmann gestaltet über maritime Charakteristik hinaus klar gezeichnete Kostüme. Und das hauseigene Ensemble zeigt sich allen Anforderungen gewachsen: Agnieszka Hauzer (Lola) mit spielerisch heller Klarheit. Michael Müller-Kasztelan (Gabriel) fordernd und frisch, Tomohiro Takada (Arno) ausdrucksstark und kultiviert, Jörg Sabrowski (Admiral Kropp) streng und präzis. Dazu mit Sololeistungen auf ebenbürtigem Niveau Tatia Jibladze, Matteo Maria Ferretti und Fred Hoffmann.

Er weiß um die Wirkung eindeutig angelegter Bilder. Regisseur Daniel Karasek verliert sich nicht im Detail psychologisch fein differenzierter Personenführung,  sondern kümmert sich intensiv ums große Ganze: um das Pathos, um die starken Signale, um die plakative Demonstration von Situationen und Stimmungen, um  kraftvolle Ästhetik bis hin zum Plakativen und an den Rand von Kitsch. Karasek hält sich nicht mit Zweideutigkeiten auf. Unter seinen Händen wird aus einem brüchigen, in seiner Konstruktion wenig stabilen Werk keine große Oper, aber immerhin ein sich großartig aufspielendes Theaterereignis.

Info und Termine: www.theater-Kiel.de