Selma Lagerlöf taucht in eine mythische Welt ein

Von Hannes Hansen

Selma Lagerlöf (Foto: gemeinfrei)

Selma Lagerlöfs 1908 in Schweden erschienene und 1928 von Marie Franzos ins Deutsche übersetzte Erzählung „Die Legende von der Christrose“ gehört zu den vielen Legenden und Sagen, in denen die schwedische Nobelpreisträgerin das mythische Mittelalter ihres Landes und seine Heilserwartungen beschwört. In Deutschland haben diese Erzählungen im Allgemeinen zwar durchaus ihre Leser gefunden, standen aber doch im Schatten der Welterfolge des Romans „Gösta Berling“ und der poetischen Geographie „Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“. Mit der erneuten Publikation der zuerst im Jahre 1928 und zuletzt 1952 auf Deutsch erschienenen Legende von der wilden Räubermutter, dem frommen Abt Hans und der wundersam in der Heiligen Nacht erblühten Christrose legt der Kieler Grabener Verlag das kleine Werk erneut vor.

Foto: Grabener Verlag

Der Kieler Skandinavist Professor Klaus Böldl nennt in seinem Vorwort die Erzählung von der Herkunft und geheimen Zauberkraft der Christrose ganz zu Recht eine Geschichte von Schuld und Sühne, was endlich einmal mit der Neuzeitlegende aufräumt, bei der schwedischen Erfolgsautorin habe es sich mehrheitlich um eine naive Märchentante gehandelt, die zwar ganz hübsch von anno dunnemals zu erzählen wusste, von der Seelenlage der Menschen ihrer Zeit aber nichts verstand. Die Psychotherapeutin Silke Stömp steuert eine tiefenpsychologische Deutung der scheinbar so einfachen frommen Legende bei, in der sie die Vielschichtigkeit der kleinen Erzählung mit dem Changieren zwischen Gut und Böse der handelnden Personen und der Erfahrung des letztlich unauslotbaren Rätsels der menschlichen Existenz herausarbeitet.

Foto: Universitätsbibliothek Regensburg

Solche literaturwissenschaftliche und psychologische Grundierung nimmt der Erzählung nichts von ihrem Zauber. Sie bleibt, was sie ist, eine zauberhafte, anrührende Legende. Das von der Herausgeberin Tirza Renebarg überaus liebevoll gestaltete Büchlein wartet zudem noch mit einem kurzen autobiografischen Abriss des Lebens der Autorin, einer Vorstellung der Übersetzerin Marie Franzos, die sich 1941 in Wien das Leben nahm, und des deutschen Erstverlegers Albert Langen auf. Vor allem aber mit Abbildungen der vielgestaltigen Christrose in alten botanischen Stichen und Lehrbüchern.

Wer noch nicht weiß, wen er wie zum Weihnachtsfest mit einer kleinen Liebesgabe überraschen möchte, wäre mit Selma Lagerlöfs Legende von der Christrose gut bedient.

Foto: Universitätsbibliothek Regensburg

Carl Larsson, Porträt Selma Lagerlöf (Foto: Urheber unbekannt, gemeinfrei)

Selma Lagerlöf, „Die Legende von der Christrose“, Grabener Verlag, 80 S., 16,80 Euro.