Die Lesebühne „Irgendwas mit Möwen“ blickte kritisch und komisch auf 2018 zurück
Von Jörg Meyer
Kiel. Das Jahr, „in dem die 2000er volljährig wurden, aber kindisch blieben“, ist vorbei. Grund für die Slam-Lesebühne „Irgendwas mit Möwen“, am dritten Tag des neuen Jahrs auf das alte zurückzublicken.
Das Möwengedicht zu Anfang übernimmt Special Guest Felix Treder, U20-Landesmeister 2018, mit einem Binnenreim („Die Möwe, die nach deinem Möwenpick pickt“), der wie die Endreimkaskaden der zuweilen absurdesten Art auch seine „bilingualen Briefe“ prägen. Sein erster geht an das Getränk der letzten Wochen, den Glühwein. Der „passt partout in kein Passepartout“, fällt vielmehr aus dem Rahmen, indem er rauschend verkündet: „Nach mir die Absinth-Flut!”
Das war 2018 öfter der Fall, wenn „Trunk-/Trumpenheiten“ wirrten, der Klimawandel mit trockener Kehle zurückschlug und Schnee wie im Text von Stefan Schwarck eine Seltenheit werden wird. Wohl nicht im Wort, denn nicht nur die Inuit kennen noch viele Wörter für Schnee, auch im Deutschen „rieselt es leise“ oder „harsch“ von Pulverschnee bis zum ärgerlichen Schneematsch. Es änderte und ändert sich also nichts, weil „nur die Uhr sich weiterdreht, man selber aber stille steht“, wie Selina Seemann, Gewinnerin des NDR Poetry Slam op Platt, konstatiert.
Nicht nur wegen des Mottos „Jahresrückblick“ setzen sich die Texte der Slam-Möwen ebenso komisch wie kritisch mit den Zeitthemen auseinander. Die Kieler Newcomerin Sarah Garstenstein fordert angesichts des Aufregerthemas 2018 „Plankton statt Plastik!“, bevor der „Hummer stummer“ wird und die „Miesmuscheln noch mieser tuscheln“.
Und was war noch? Moderator Michel Kühn weiß aus dem Rückblick des erkrankten Björn Högsdal, dass im Januar 2018 die letzte gedruckte Ausgabe des Telefonbuchs erschien. Michel selbst erzählt von seiner Begegnung mit zudringlichen Feuerquallen im Jahrhundertsommer, und Stefan wundert sich, dass all die dystopischen Bücher, die er 2018 las, „um der realen Welt zu entfliehen“, bereits ihren realen Gegenpart fanden.
Bei so viel bedrückenden Gegenwarten scheinen wie in Mona Harrys Gedicht, sensibel begleitet von Michel Kühn auf der Gitarre, „die Utopien vermieden, weil alles eh so bleibt“. Aber nur „solange den Antworten die Fragen fehlen”. Genau die – und das macht Hoffnung – werden hier poetisch gestellt.
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